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Auslistungsanspruch gg. Google & Recht auf Vergessenwerden


Zu den Voraussetzungen eines Auslistungsanspruchs ("Recht auf Vergessenwerden") gegen den Verantwortlichen eines Internet-Suchdienstes (Google) nach Art. 17 DS-GVO, BGH vom 03.05.2022 - VI ZR 832/20.

Des Raubmordes freigesprochen und trotzdem Online-Artikel zu finden - Kann der ehemals Verdächtige die Löschung verlangen?

Der Kläger verlangt von der Beklagten, es zu unterlassen, in der von ihr betriebenen Internet-Suchmaschine Google einen Ergebnislink anzuzeigen.DS-GVO, Europa, Recht, Datenschutz    
Der Kläger wurde Februar 1988 vom Vorwurf des Raubmordes freigesprochen, weil seine Täterschaft nicht nachgewiesen werden konnte. Im März 1988 überfiel und ermordete der Kläger drei Menschen. Deshalb wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt. November 2014 wurde der Kläger aus der Haft entlassen.
Bei Eingabe des Vor- und Nachnamens des Klägers in Google erscheint ein Link zu einem Artikel, der 1988 in einem Nachrichtenmagazin erschien und im Online-Archiv des Magazins über dessen Webseite zugänglich ist. Der Artikel befasst sich mit dem unter voller Namensnennung bezeichneten Kläger und den gegen ihn geführten Strafverfahren.
Den Antrag des Klägers, den Link aus den Suchergebnissen zu löschen, lehnte die Beklagte ab.           
Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, es im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu unterlassen, auf der Ergebnisliste bei Google nach Eingabe des Namens des Klägers diesen Ergebnislink zu verbreiten, hilfsweise auf der Ergebnisliste der Suchmaschine den Ergebnislink zu löschen, soweit er unter Eingabe personenbezogener Daten des Klägers generiert wurde.

Was sagt der BGH zum Recht auf Vergessenwerden?

Der Kläger hat auf der Grundlage des im Revisionsverfahren maßgeblichen Sachverhalts einen Anspruch gegen die Beklagte auf Auslistung des streitgegenständlichen Ergebnislinks aus Art. 17 Abs. 1 Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO). Das sogenannte "Recht auf Vergessenwerden".
Der Kläger hat diesen Anspruch, da die von der Beklagten vorgenommene Datenverarbeitung nach den relevanten Umständen des Streitfalls nicht zur Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Information erforderlich ist. (Hier der ausführliche Rechtsartikel dazu)

Der Kläger muss sich nicht darauf verweisen lassen, vorrangig das Presseorgan, das für den von der Beklagten verlinkten Artikel verantwortlich ist, in Anspruch zu nehmen. Die Tätigkeit eines Suchmaschinenbetreibers (wie z. B. Google) ist ein für sich stehender Akt der Datenverarbeitung, der auch hinsichtlich der damit einhergehenden Grundrechtsbeschränkungen eigenständig zu beurteilen ist.

Einschlägige Grundlage des klägerischen Auslistungs ist Art. 17 Abs. 1 DS-GVO. Danach steht der betroffenen Person der Anspruch zu, wenn

  • die personenbezogenen Daten für die Zwecke, für die sie erhoben oder auf sonstige Weise verarbeitet wurden, nicht mehr notwendig sind, Art. 17 Abs. 1 a DS-GVO.
  • die betroffene Person Widerspruch gegen die Verarbeitung ihrer Daten eingelegt hat und keine vorrangigen berechtigten Gründe für die Verarbeitung vorliegen, Art. 17 Abs. 1 c DS-GVO.
  • die personenbezogenen Daten unrechtmäßig verarbeitet wurden Art. 17 Abs. 1 d DS-GVO.


Der Kläger nimmt das Vorliegen der Voraussetzungen für alle drei genannten Varianten für sich in Anspruch. Die erste Variante betrifft den Zeitablauf zwischen dem erstmaligen Erscheinen des in der Ergebnisliste der Beklagten nachgewiesenen Artikels im Jahr 1988 und dem Schluss der letzten Tatsachenverhandlung im Mai 2020.

Die zweite Variante beruht auf dem schon im Auslistungsbegehren selbst liegenden Widerspruch des Klägers gegen die Datenverarbeitung durch die Beklagte.

Mit der dritten Variante nimmt der Kläger die Sensibilität seiner im verlinkten Artikel enthaltenen, von der Beklagten vorübergehend gespeicherten und über den Nachweis in ihren Ergebnislisten zugänglich gemachten Daten in den Blick. Art. 17 Abs. 1 DS-GVO gilt insgesamt nicht, soweit die Datenverarbeitung zur Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Information erforderlich ist.

Ob eine Erforderlichkeit vorliegt, ist durch Abwägung zu ermitteln. Dabei sollen die folgenden Fragen Berücksichtigung finden:

  1. ob die Verarbeitung der Daten allgemein zur Wahrung der berechtigten Interessen der Beklagten oder eines Dritten erforderlich war, Art. 6 Abs. 1 f DS-GV
  2. ob die Verarbeitung speziell der Daten des Klägers aus Gründen eines erheblichen öffentlichen Interesses erforderlich war, Art. 9 Abs. 2 g DS-GVO
  3. ob die Beklagte zwingende schutzwürdige Gründe für die Verarbeitung nachweisen kann, die die Interessen, Rechte und Freiheiten des Klägers als der betroffenen Person überwiegen, Art. 21 Abs. 1 Satz 2 DS-GVO


Geboten ist daher eine einheitliche Gesamtabwägung der widerstreitenden Grundrechte, die alle nach den Umständen des Streitfalles aufgeworfenen Einzelaspekte berücksichtigt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind in dem Bereich der unionsrechtlich vollständig vereinheitlichten Regelungen nicht die Grundrechte des Grundgesetzes, sondern allein die Unionsgrundrechte maßgeblich.
Auf Seiten des Klägers sind die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens aus Art. 7 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) und auf Schutz personenbezogener Daten aus Art. 8 GRCh einzustellen.

Auf Seiten der beklagten Suchmaschinenverantwortlichen ist ihr Recht auf unternehmerische Freiheit aus Art. 16 GRCh einzustellen. Demgegenüber kann sie sich für die Verbreitung von Suchnachweisen nicht auf Art. 11 GRCh berufen. Einzustellen sind jedoch die von einem solchen Rechtsstreit möglicherweise unmittelbar betroffenen Grundrechte Dritter und damit vorliegend die Meinungsfreiheit der Inhalteanbieter. Zu berücksichtigen sind darüber hinaus die Informationsinteressen der Nutzer.
Grundlage der Abwägung ist die Würdigung des Vorgehens des Suchdienstes der Beklagten als für sich stehender Akt der Datenverarbeitung, der folglich auch hinsichtlich der damit verbundenen Grundrechtseinschränkungen eigenständig zu beurteilen ist. Insbesondere geht die Frage seiner Rechtmäßigkeit nicht in der Frage der Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung des Beitrags seitens der Inhalteanbieter auf.

Wenn sich Betroffene - wie hier der Kläger - nicht schon gegen die Ermöglichung namensbezogener Suchabfragen überhaupt, sondern gegen deren Wirkung hinsichtlich einzelner sie nachteilig betreffender Beiträge wenden, kommt es für die Gewichtung ihrer Grundrechtseinschränkung maßgeblich auf die Wirkung ihrer Verbreitung an.
Nach diesen Grundsätzen haben die Grundrechte des Klägers nicht hinter den Grundrechten der Beklagten und den in deren Waagschale zu legenden Interessen ihrer Nutzer, der Öffentlichkeit und des für den verlinkten Zeitungsartikel verantwortlichen Presseorgans zurückzutreten. Der Presseartikel darf jedenfalls nicht mehr durch allein namensbezogene Abfragen über die Suchmaschine der Beklagten so auffindbar gehalten werden, dass er - so wie vom Kläger behauptet - in der Ergebnisliste angezeigt wird.      


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