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Bei nach dem Policenmodell des §5a VVG in der alten Fassung (a.F.) geschlossenen Versicherungsverträgen führten Belehrungsfehler in vergangenen gerichtlichen Entscheidungen oft zu dem sogenannten „ewigen Widerrufsrecht“. Zwar gibt es nach
§5a, Absatz 1 VGG a.F. eine vierzehntägige Widerspruchsfrist, die allerdings erst beginnt, wenn dem Versicherungsnehmer sämtliche Unterlagen in der korrekten Form vorliegen. Mit seinem Urteil vom 15.02.2023 hat der Bundesgerichtshof (BGH) dieses Widerrufsrecht nun eingegrenzt und schränkt es ein.
Anlass dafür war ein Fall, in dem die Klägerin abgetretene Ansprüche auf bereicherungsrechtliche Rückabwicklung derartiger Lebens- und Rentenversicherungsverträge geltend machen wollte. Die Verträge wurden 2002 geschlossen und erst 2016 und 2017 gekündigt, bis 2018 schließlich der Widerspruch nach §5a VVG a.F. erklärt wurde. Die Klägerin stützte ihre Klage auf die Behauptung, die Versicherungsnehmer seien fehlerhaft belehrt worden. Während Verbraucher gemäß §5a, Absatz 1 Satz 1 VVG a.F. darüber informiert werden mussten, dass sie dem Vertragsabschluss innerhalb von 14 Tagen widersprechen könnten, verlangte die Versicherung eine Belehrung in Schriftform. Diese ist deutlich strenger, wohingegen ein Widerspruch in Textform auch durch eine E-Mail ohne Unterschrift möglich gewesen wäre.
Nachdem die vorherigen Instanzgerichte mit der Begründung, die Geltendmachung der Rückabwicklungsansprüche würde gegen Treu und Glauben (§242 BGB) verstoßen, abgewiesen haben, schloss sich auch der BGH dieser Linie an. Durch den nur geringfügigen Belehrungsfehler würde dem Versicherungsnehmer nicht die Möglichkeit genommen, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen auszuüben. Solche Fehler stellten demnach im Ergebnis unerhebliche und folgenlose Verletzungen der Belehrungspflicht dar. Stattdessen würde es nach der Auffassung des Senats gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen, viele Jahre nach Vertragsschluss aufgrund eines geringfügigen Belehrungsfehlers den Widerruf zu erklären.
Diese Ansicht widerspricht nach Auffassung des Senats nicht den von der Klägerin zitierten Urteilen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), sodass der Fall diesem nicht zusätzlich vorgelegt werden müsse. Zwar habe der EuGH ein ewiges Widerrufsrecht für Verbraucherkreditverträge, in deren Widerrufsbelehrungen zwingend vorgesehene Angaben fehlen, angenommen, er hat sich allerdings nicht zur Differenzierung nach der Bedeutung der Belehrungsfehler bei Versicherungsverträgen geäußert.
Auch die Frage, ob das Policenmodell überhaupt mit den Lebensversicherungsrichtlinien der Europäischen Union vereinbar wäre, blieb für diese Entscheidung unerheblich. Selbst wenn eine solche Unionswidrigkeit vorliegend wäre, wäre es als rechtsmissbräuchlich zu werten, wenn sich im Wesentlichen ordnungsgemäß belehrte Versicherungsnehmer nach jahrelanger Vertragsdurchführung auf dessen Unwirksamkeit berufen wollten, um daraus Bereicherungsansprüche geltend zu machen.
Die Maßstäbe für die Berücksichtigung des Einwands von Treu und Glauben sind in der Rechtsprechung des BGH gerichtlich geregelt und stehen im Einklang mit der Entscheidung im vorliegenden Fall, sodass auch eine Vorlage an den EuGH zu dieser Problematik ebenfalls nicht erforderlich war. Etwas anderes ergibt sich dabei auch nicht aus den Ausführungen zu dem Grundsatz des Rechtsmissbrauchs aus der Entscheidung des EuGH vom 09.09.2021. In dieser Entscheidung sicherte der Gerichtshof den Mitgliedsstaaten die Regelungsbefugnis für den Bereich der Lebensversicherungen im Hinblick auf die Modalitäten der Ausübung des Rücktrittsrechts und der Mitteilung von Informationen, insbesondere zur Ausübung dieses Rechts, im Einzelnen zu. Die Mitgliedsstaaten müssen allerdings dafür sorgen, dass die praktische Wirksamkeit unionsrechtlicher Richtlinien nicht beeinträchtigt wird.
Somit ist - wie im vorliegenden Fall - ein Rückgriff auf Treu und Glauben nach §242 BGB zulässig, wodurch es nicht auf den allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts zum Rechtsmissbrauch und dessen Voraussetzungen ankommt, soweit die praktische Wirksamkeit nicht beeinträchtigt wird. Der BGH hat seine Einschränkung des ewigen Widerspruchsrecht somit fortgeführt, indem dieses nun durch den Einwand des Rechtsmissbrauchs bei geringfügigen Belehrungsfehlern begrenzt wird.
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