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Envion-Skandal und ICO-Whitepaperhaftung


Wir haben uns schon häufiger mit dem Thema Whitepaper, insbesondere im Zusammenhang mit der Verordnung (EU) 2023/1114 über Märkte für Kryptowerte (Markets in Crypto-Assets Regulation – MiCAR), beschäftigt. Bevor diese in Geltung trat, gab es im deutschen Rechtskreis viel Streit zur Frage der Haftung für fehlerhafte Prospekte bzw. Whitepaper. Anfang 2018 ereignete sich das Envion-ICO, wobei ein fehlerhaftes Whitepaper eine große Rolle spielen könnte. Nun wurden erstmals Entscheidungen zu den Verfahren veröffentlicht, die allerdings stark kritisiert werden.

Hintergrund des Skandals

Die Gründer, übrigens deutsche Staatsangehörige, wollten in den Jahren 2017/2018 ein Krypto Mining-Projekt auf die Beine stellen. Das Geschäftsmodell drehte sich um ein strom- und darüber hinaus kostensparendes „Mobile Mining“. Man würde Container zielgenau immer dort aufstellen können, wo man mit überschüssigem Ökostrom umweltfreundlich Bitcoin oder Ethereum minen könne – bspw. an Solaranlagen oder Windkraftparks.

Die gegründete Envion AG war eine Gesellschaft nach Schweizer Recht, deren alleinige Anteilsinhaberin die nach deutschem Recht organisierte Quadrat Capital GmbH war. Die Gründer waren an keiner der beiden Gesellschaften formell beteiligt, sondern ließen wichtige Posten durch Strohmänner füllen. Sie gründeten stattdessen die Trado GmbH mit Sitz in Berlin, die Beklagte in den Verfahren.

Die Envion AG gab im Rahmen eines ICO, das vom 15. Dezember 2017 bis zum 14. Januar 2018 stattfand, mehr als 100 Mio. „EVN-Token“ aus. Es war eines der erfolgreichsten ICOs der damaligen Zeiten. Inhaber von EVN-Token sollten je nach ihrem Anteil am Gesamt-Pool der EVN-Token Erträge aus dem Mining erhalten; die investierten Beträge sollten weitgehend der Durchführung des Projekts dienen. Die Zahlungsströme flossen dann zwischen den Gesellschaften. Ein interner Streit führte allerdings zum Zerwürfnis und das versprochene Geschäftsmodell wurde nie Realität. Schon im Juli 2018 wurde in der Schweiz ein Verfahren gegen die Envion AG eröffnet und sie wurde im November 2018 aufgelöst.

Das fehlerhafte Prospekt

Wichtig für unsere Betrachtung: Die Envion AG gab zusammen mit der Quadrat Capital GmbH  und weiteren Beteiligten im Vorfeld und während des ICO mehrere überarbeitete Varianten eines Prospektes und eines Whitepapers heraus.

Whitepaper

Das Whitepaper dient primär dem Interesse und dem Schutz der potenziellen Kryptowerte-Kleinanleger. Sie sollen über die Merkmale, Funktionen und Risiken der Kryptowerte, die sie zu kaufen beabsichtigen, informiert werden.

Heute zählt die MiCAR zahleiche Aspekte auf, die in einem Whitepaper geregelt sein müssen. Es ist daher als Anleger empfehlenswert, sich so über Projekte zu informieren.


Ein Teil der EVN-Token konnte aber interessanterweise auch schon vorher von bestimmten Anlegern kostenlos erworben werden. Das relevante Prospekt stammt vom 15. Dezember 2017.

Die relevanten Prospekte der Envion AG enthielten keine eindeutigen Hinweise auf die Existenz der  Trado GmbH. Zwar wurde darauf hingewiesen, dass die Founder die Geschäfte führen würden – es wurden aber nur zwei der vier Founder genannt. Hierin wurde auch die Anwendbarkeit deutschen Rechts vereinbart.

Warum waren deutsche Gerichte zuständig?

Ein Streitpunkt in den vorliegenden Fällen war die Zuständigkeit der deutschen Gerichte, trotz der Regelung im Whitepaper zur Rechtswahl. Denn die Envion AG war eine Gesellschaft nach Schweizer Recht, die Beklagte hatte ihren Sitz in Berlin, der eine Kläger kommt aus Tschechien und der andere war in Polen wohnhaft.

Trotzdem kam primär nach zwei Varianten eine Anwendbarkeit deutschen Rechts in Betracht. Nach Art. 12 Abs. 1 Rom-II-VO i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Rom-I-VO ist deutsches Recht anwendbar, wenn der Vertrag, dessen vorvertraglichen Pflichten (ggfs. durch einen Dritten) verletzt sein sollen, deutschem Recht unterliegen würde. Die Beklagte versuchte zwar, einzuwenden, dass dieses Prospekt nur ein Entwurf gewesen sei und das finale Whitepaper eine Rechtswahlklausel zu Gunsten Schweizer Rechts enthielt. Jedoch war im Januar das Anlagegeschäft mit dem Kläger schon vollzogen, sodass auf das erste Prospekt abgestellt wurde.

Die zweite Variante ist eine Anwendbarkeit über Art. 4 Rom-II-VO, wenn eine „offensichtlich engere Verbindung“ der unerlaubten Handlung zu einem anderen Staat besteht. Eine engere Verbindung zu Deutschland wurde vorliegend angenommen aufgrund dem zwischen der Emittentin und der Klägerin vereinbarten deutschen Recht, dem Sitz der Beklagten und der Vereinbarung der Zuständigkeit deutscher Gerichte.

Starke Kritik: Gerichte haben falsches Recht angewandt?

Die Gerichte gerieten unter starke Kritik der Literatur. Zum einen hatten sie aus Sicht einiger Experten das falsche Recht angewandt, zum anderen waren die beiden Entscheidungen in ihrer rechtlichen Bewertung abweichend. Nach der damaligen Rechtslage gab es eine Anwendungskonkurrenz zwischen der Haftung nach Spezialgesetzen (insb. das Gesetz über die Erstellung, Billigung und Veröffentlichung des Prospekts, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei der Zulassung von Wertpapieren zum Handel an einem organisierten Markt zu veröffentlichen ist „WpPG“) und der Haftung nach allgemeinem bürgerlichen Recht. Letztere wurde von der Rechtsprechung als Auffangregelung genutzt, falls die Spezialgesetze auf konkrete Fälle nicht anwendbar waren.

Die Gerichte haben die Spezialgesetze als unanwendbar gesehen und deshalb den Fall nach der bürgerlich-rechtlichen Prospekthaftung beurteilt. Die Literatur sieht diesen Ausschluss aber als zu voreilig an. So soll die bürgerlich-rechtliche Prospekthaftung nur dort anwendbar sein, wo die spezialgesetzlichen Anspruchsgrundlagen „im Grundsatz“ nicht eröffnet sind – also, wenn ein grundsätzlich abweichender Anlagegegenstand vorliegt. Das prüft die Literatur, im Gegensatz zu den Gerichten, einmal haargenau durch.

Anwendbarkeit des Spezialgesetzes

Für die Anwendbarkeit der Anspruchsgrundlagen aus dem WpPG in der alten Fassung müsste es sich bei der Ausgabe der EVN-Token um ein öffentliches Angebot im Inland gem. Art. 6 Abs. 1 ProspektVO handeln. Die Token stellten Wertpapiere dar, wovon die Emittentin im Whitepaper auch selbst ausging. Ein großer Streitpunkt ist aber, ob ein öffentliches Angebot im Inland vorlag.

Unstrittig lag ein öffentliches Angebot vor. Im Inland wäre dieses nur, wenn eine zielgerichtete Ansprache von Anlegern im Inland vorliegt, also wenn sich die Maßnahme des Anbieters im Inland auswirkt, wobei die Nationalität der Anleger, ebenso wie der Ort, von dem aus das Angebot gemacht wird, irrelevant sind. Das ICO und die folgende Annahme von Investitionen hat klar Anleger aus aller Welt angesprochen.

Aus Sicht der Literatur wäre somit eine Anwendbarkeit der Spezialgesetze vorrangig gewesen. Demnach hätte sich die Prospekthaftung nach den dortigen Vorschriften gerichtet. Das hätte aber im Ergebnis keinen Unterschied gemacht, da die Rechtsfolge die Gleiche gewesen wäre.

Prospekthaftung nach bürgerlichem Recht

Dennoch sei nochmal aufgeführt, wie die allgemeine Prospekthaftung funktioniert. Für sie gilt ein erweiterter Prospektbegriff. Prospekt ist danach eine marktbezogene schriftliche Erklärung, die für die Beurteilung der angebotenen Anlage erhebliche Angaben enthält oder den Anschein eines solchen Inhalts erweckt. Dies lag beim Envion-Prospekt vor. Außerdem ist die Beklagte als „Hintermann“ zu qualifizieren, welche die Interessen der Gründer vertrat.

Es müssten auch Prospektfehler vorliegen. Dies ist hier schon der Fall, da das Prospekt ja die Hälfte der Gründer  und auch die Trado GmbH nicht genannt wurden. Ein Gericht war zwar der Ansicht, dass hiervon keine Gefahr für die Anleger ausginge. Doch dass die Gründer, welche für das Projekt wesentlich waren, nicht direkt formell beteiligt waren, macht einen Unterschied.

Schwierig war es, die Kausalität zu beurteilen. Diese wurde von einem Senat angenommen und vom anderen Senat verneint. Die Kausalität wird bei unrichtigen Angaben widerleglich vermutet; bei unvollständigen Angaben muss hypothetisch geprüft werden, ob sich der Anleger bei Kenntnis der Wahrheit anders entschieden hätte. Vorliegend scheint es überzeugender, diese anzunehmen. Auch wenn es um den Beklagten als Hintermann geht, so hätten sich viele Anleger wohl anders entschieden, wenn sie um dessen Strohmann-Eigenschaft gewusst hätten. Das Verschulden der Beklagten wird ebenfalls vermutet und konnte nicht widerlegt werden.


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