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Tofu, Seitan und co. haben in den letzten Jahren eine steile Karriere hingelegt. Wer sich noch an ihre Anfänge erinnern kann, weiß vielleicht auch, dass Vegetarier sein damals absolut kein Zuckerschlecken war. Das ist heute anders. Tofu und Seitan haben ganze Lebensmittelregale erobert und sogar auf dem Grill ihren Platz neben den Grillfackeln und Käsekrainern einnehmen dürfen. Und somit guckt der ein oder andere Fleischliebhaber dann nach dem ersten Bissen vom Grünkern-Burger auch erst mal etwas verdutzt: „Das schmeckt ja wie richtiges Fleisch!“
Ob die Tofu-Wurst und das Seitan-Steak ihre Namen behalten dürfen, soll nun aber geklärt werden. Denn offensichtlich scheinen sich Schwein und Rind wohl doch etwas in ihrer Ehre gekränkt zu fühlen, dass ihr zartes Fleisch von so ein paar Erbsenproteinen ersetzt werden könne und einen gleichgebürtigen Namen trage. Das EU-Parlament möchte deshalb nun eine Entscheidung treffen. Aus einem Gesetzesvorschlag des Landwirtschaftsausschusses ging hervor, dass “sich auf ‘Fleisch’ beziehende Begriffe und Bezeichnungen, ausschließlich den zum Verzehr geeigneten Teilen der Tiere vorbehalten sein sollen." Das hieße, dass Schwein und Rind zu ihrem Recht kämen und somit Fleisch Fleisch bleibt und Tofu und Seitan sich eher unter dem Namen „Tofu-Disc“ und „Seitan-Bratling“ verkaufen müssen.
Vielleicht kommt dem ein oder anderen diese Diskussion auch schon bekannt vor. Stichwort: Hafer-Nilk und Soja-Drink! 2017 beschloss damals der Europäische Gerichtshof, dass rein pflanzliche Produkte nicht mehr unter dem Namen"Sojamilch" oder "Pflanzenkäse" verkauft werden dürfen. Seitdem stehen in unseren Supermärkten auch so viele „Drinks“ im Milchregal. Als wäre das nicht schon deutlich genug, soll auch dieses Verbot nun noch ausgeweitet werden. Ersatzprodukte für Milcherzeugnisse dürfen demnach nun auch nicht mehr mit "Milchgeschmack", "Käseersatz", "nach Art einer Schlagsahne" oder ähnlichem betitelt werden.
Die Fleischindustrie fordert eindeutige Namen für Alternativprodukte. Bei dem neuen Gesetzesvorhaben zum Fleischersatz geht es wohl anscheinend nur darum den Verbraucher vor irreführenden Produktnamen zu schützen. Ich meine so ein „Soja-Schnitzel“ ist ja auch ganz schön verwirrend für den Verbraucher und wie gesagt: Die arme Kuh muss sich ganz schön gekränkt fühlen. Vielleicht geht es aber bei dem ganzen Wirbel auch um etwas oder jemand ganz anderen: Die Fleischindustrie.
Die ist nämlich seit Tofu’s und Seitan’s Durchbruch etwas ins Schwitzen gekommen. Heute sind eben Fleischersatzprodukte keine labbrig-traurige Angelegenheit mehr, sie entwickeln sich sogar immer mehr zum Trend, der geschmacklich, wie optisch oft wirklich nicht vom „original“ zu unterscheiden ist. Sogar der Wursthersteller Rügenwalder Mühle, der seit 1834 im Wurst-Business unterwegs ist, hat dieses Jahr zum ersten Mal mehr Umsatz mit fleischfreien Produkten, als mit seinem ursprünglichen Kernprodukt gemacht.
Und sind wir mal ehrlich: Angeblich irreführende Produktnamen verbieten zu lassen und damit noch irreführendere Produktnamen auf den Markt zu bringen, ist wohl in Wahrheit ein verzweifelter Versuch des Fleischsektors, diese Entwicklung noch aufzuhalten und von den eigenen Problemen der Wurstindustrie abzulenken.
Eine Gruppe von Vertreterinnen und Vertretern der europäischen Viehzuchtorganisationen lancierte die europäische Kampagne „Ceci n‘est pas un steak“, welche sich vor allem grundlegende Fragen nach der Information der Verbraucherinnen und Verbraucher, unserem kulturellen Erbe und der Macht des modernen Marketings, stellt. Jean-Pierre Fleury, Vorsitzender der Arbeitsgruppe „Rindfleisch“ von Copa und Cogeca, sagte zum Auftakt dieser Initiative:
„Für den europäischen Viehzuchtsektor geht es nicht darum, diese Entwicklung zubekämpfen, wir fordern lediglich Anerkennung und Achtung für die Arbeit von Millionen von europäischen Landwirten und in der Viehzucht tätigen Personen. Ich scheue mich nicht, festzustellen, dass wir es hier offensichtlich mit einem Fall des Kaperns kultureller Errungenschaften zu tun haben…. Wir sind auf dem besten Wege eine ‚schöne neue Welt‘ zu schaffen, in der Marketing von der wahren Natur der Produkte entkoppelt ist – was nichts anderes bedeutet, als dass wir zulassen, dass die Dinge außer Kontrolle geraten!"
Vielleicht wird hierbei aber ein weiteres Problem übersehen. Sind wir mal ehrlich: Ist es denn wirklich als „kapern kultureller Errungenschaften“ anzusehen, wenn Menschen, die sich eigentlich bewusst dafür entscheiden auf Fleischprodukte zu verzichten, irgendwie doch ab und zu mal ein „nachgemachtes“ Steak auf den Grill legen möchten? Ist es da nicht vielleicht sogar als eine Würdigung von Fleischprodukte anzusehen?
Und versucht die EU nicht gerade zusätzlich noch durch den European Green Deal auf ein klimaneutrales Europa hinzuarbeiten und dabei sind doch gerade pflanzliche Alternativen deutlich umwelt- und tierfreundlicher. Vielmehr sollte sich doch darauf fokussiert werden, was wir Menschen da oft so zu uns nehmen und wie durchsichtig die Inhaltsstoffe unsere Produkte wirklich sind. Vielleicht sollte das EU-Parlament seine Energie viel mehr darauf setzen sicherzustellen, dass sich die Industrien nicht als Luftballonkünstler verkleiden und in den Tofu so viele Zusätze wie möglich pumpen, damit er dann am Ende schmeckt und aussieht wie eine schöne knackige Wurst. Eine Bezeichnung mit der auch der Otto Normalverbraucher etwas anfangen kann, ist außerdem hilfreich dabei, das vegetarische oder vegane Produkt geschmacklich einzuordnen oder es mit dem Bekannten wenigstens vergleichen zu können. Außerdem darf die EU seinen Bürgern ruhig so viel Hirn zutrauen, dass sie wissen, dass in Soja-Milch genau so wenig Milch drin ist, wie eben Hirn in der Hirnwurst.
Die ganze Debatte um die Wurst zeigt, dass wir an einem deutlichen Wendepunkt in der Ernährungsgeschichte angekommen sind. Und während die einen an der guten alten Tradition, an Mettigel und Königsberger Klopsen, festhalten möchten, bewegt sich der andere Teil eher in Richtung fleischfreie Alternativen hin. Vor diesem Trend und der Chance mehr Vielfalt auf dem Markt zu haben sollten deshalb keinesfalls die Augen verschlossen werden und vielleicht ist es deshalb auch an der Zeit den deutschen Wortschatz zu erweitern. Gleichzeitig werden wohl auch Grillfackel und Käsekrainer weiterhin ihren Platz auf dem Grill, ganz friedlich, neben Tofu und Seitan, einnehmen dürfen und somit dürfen sich nun auch die Fleischindustrie und all ihre Fans und Liebhaber mal einfach etwas entspannt zurücklegen und ihre Energie darauf verwenden, dass ihr eigenes Steak nicht anbrennt.
Eine Besonderheit im Lebensmittelrecht besteht darin, dass es Bezüge zu allen Teilen der Rechtsordnung aufweist. Lebensmittelrechtliche Vorschriften finden sich sowohl im Zivilrecht und im öffentlichen Recht als auch im Strafrecht. Viele Regelungen beruhen zudem auf europarechtlichen Vorgaben.
Vergleichsweise wenige Rechtsanwälte beraten regelmäßig und vertieft im Lebensmittelrecht. Der Titel Fachanwalt/Fachanwältin für Lebensmittelrecht wird nicht vergeben, erfahrene Rechtsanwälte im Lebensmittelrecht sind häufig zugleich Fachanwalt für Verwaltungsrecht und/oder Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz.