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| Internetrecht, Reputationsrecht
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Renate Künast hat einen Erfolg vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main erreicht: Wenn Zitate mehrdeutig sind, müssen sie mit einem Interpretationsvorbehalt deklariert werden. Mit diesem Beschluss des OLG (vom 16.04.2020, Az. 16 U 9/20) ist ein weiteres wichtiges Urteil im Kampf gegen Hass, Beleidigungen und Meinungsmache im Internet gefällt worden.
Nachfolgend berichten wir von SBS Legal, der Kanzlei für Internetrecht und Reputationsrecht in Hamburg mit unseren erfahrenen Anwälten für Internetrecht und Anwälten für Reputationsrecht, von der zugrunde liegenden Klage und ihren Hintergründen und erklären die Urteilssprechung des OLG zum Zitieren mehrdeutiger Äußerungen.
Welcher Sachverhalt liegt dem Urteil zugrunde, nach dem Zitate nicht aus dem Zusammenhang gerissen werden dürfen, ohne eben das zu kennzeichnen?
Geklagt hatte Renate Künast (Bundestagsabgeordnete bei den Grünen), und zwar gegen einen Facebook-Nutzer, der ein angebliches Zitat von ihr auf Facebook gepostet hatte:
"Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist, ist Sex mit Kindern doch ganz ok. Ist mal gut jetzt" – das soll Künast gesagt haben. So wird sie jedenfalls von dem Facebook-User in seinem Post zitiert. Dieses Zitat wirkt, als würde Künast Sex mit Kindern gutheißen. Dabei hat sie diese Aussage weder wortwörtlich noch sinngemäß so getroffen, weshalb Künast geklagt hatte.
1986 im Berliner Abgeordnetenhaus: Eine Landespolitikerin der Grünen hält eine Rede zu häuslicher Gewalt, als eine CDU-Abgeordnete eine Zwischenfrage stellt. Sie erfragt die Haltung der redenden Landespolitikerin zu dem Beschluss ihrer grünen Parteikollegen in Nordrhein-Westfalen, Pädophilie zu legalisieren. Da ruft (ebenfalls von den Grünen) Künast, die damals Mitglied des besagten Landesparlaments in Berlin gewesen ist, etwas hinein, und zwar: „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist!“.
Aufgrund dieses Zwischenrufs ist Künast vorgeworfen worden, Sex mit Kindern legalisieren zu wollen. Damals wie heute hat sie diese Vorwürfe dementiert.
2015 berichtet die Zeitung „Die Welt“ in ihrem Artikel „Grünen-Politikerin Künast gerät in Erklärungsnot“ über die Pädophilie-Debatte der Grünen in den 80er Jahren und thematisiert insbesondere die Rolle von Renate Künast in dem Zusammenhang.
„Die Welt“ zitiert Künasts damaligen Zwischenruf im Berliner Abgeordnetenhaus („Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist!“) und schreibt in Bezug auf das Zitat im Anschluss: „Klingt das nicht, als wäre Sex mit Kindern ohne Gewalt okay?“.
Den Welt-Artikel und die darin formulierte Frage des Autors („Klingt das nicht, als wäre Sex mit Kindern ohne Gewalt okay?“) hat ein Nutzer auf Facebook dann zum Anlass genommen, ein Bild zu posten. Über dem Bild verweist er auf den Artikel der Welt.
Aber auf dem Bild selbst ist Künast zu sehen, zusammen mit dem als scheinbar wörtliches Zitat dargestellten Schriftzug „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist, ist Sex mit Kindern doch ganz ok. Ist mal gut jetzt“.
Daraufhin hat Künast den Facebook-User verklagt. Denn das Zitat sei ihr fälschlicherweise als wortwörtlich und zudem kontextlos nachgesagt worden.
Wie Künasts Haltung zu Pädophilie nun tatsächlich war und ist, ist eine Sache der Meinung.
Künast positioniert sich nach eigener Aussage klar gegen Pädophilie und dagegen, es jemals gutgeheißen zu haben. Die Äußerung „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist!“ habe sie getätigt, weil es in der Debatte um häusliche Gewalt ging. Sie habe damit aufzeigen wollen, wie zusammenhangslos die Zwischenfrage der CDU-Politikerin zu Pädophilie sei – denn die Rede habe sich ja gar nicht um Pädophilie, sondern eben um häusliche Gewalt gehandelt. So ordnet also Künast ihren Zwischenruf im Kontext ein.
Andere legen Künasts Zwischenrufs von 1986 im Landesparlament anders aus: In Anbetracht der Pädophilie-Debatte der Grünen in den 80er Jahre habe auch Künast Sex mit Kindern legalisieren wollen. Das Zitat sei ein Indiz oder gar Beleg dafür.
Es ist also ein Meinungskampf: zwei Meinungen dazu, wie Künasts Haltung zu Pädophilie war oder ist.
Das OLG Frankfurt am Main hat deswegen geurteilt: Wenn eine Äußerung mehrdeutig ist (ihr Sinn im Kern also verschieden ausgelegt werden kann), dann muss derjenige, der diese Äußerung zitiert (und dabei in so einen Zusammenhang stellt, dass eine bestimmte Deutung der Äußerung impliziert wird), kennzeichnen, dass es sich hierbei um eine Deutung handelt – und nicht um eine objektive Tatsache. „Interpretationsvorbehalt“ nennt sich das. In einem Meinungskampf dürfen mehrdeutige Zitate also nicht ohne weiteres aus dem Kontext gerissen veröffentlicht werden.
Im Falle der auf Facebook zitierten Künast lässt sich die Anwendung des Interpretationsvorbehaltes wie folgt erklären: „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist" – das hatte Künast 1986 im Bundestag gesagt. Ohne diese Aussage aber in dem Zusammenhang zu sehen, in dem Künast sie damals getätigt hatte, lässt sie sich verschieden auslegen – interpretieren. Genau das hatte der Beklagte, der Facebook-User, getan. Er hatte die Aussage „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist" in Verbindung gebracht mit „ist Sex mit Kindern doch ganz ok. Ist mal gut jetzt“ – und so wirkt es auf einmal, als würde Künast Sex mit Kindern in Ordnung finden.
Dass sie das eigentlich nicht in Ordnung findet, wird dabei nicht deutlich, weil Künasts Äußerungen aus dem Zusammenhang gerissen und in einen neuen Zusammenhang umgedeutet wurden.
Das Bild auf Facebook, um das es sich handelt, sei so plakativ und auffällig, dass der oberhalb davon genannte Welt-Artikel, in dessen Zusammenhang das Bild steht, nicht hinreichend ist, um darauf hinzuweisen, dass das Zitat eine Interpretation ist – je nach Kontext.
Und ohne diesen Interpretationsvorbehalt greife der Post, der Künast fälschlicherweise ein wörtliches Zitat nachsagt, in Künasts allgemeines Persönlichkeitsrecht gemäß dem Grundgesetz (Artikel 1, Absatz 1 und Artikel 2, Absatz 1) ein.
Die Gefahr bei Zitaten, die als Beleg für eine These bzw. Meinung herangezogen werden, besteht gerade darin, dass sie wie eine Tatsache wirken. Dem Adressaten ist oft nicht direkt klar, dass das Zitat nicht immer eindeutig sein muss. Dabei kann es je nach Zusammenhang, in dem es herangezogen wird, ganz anders wirken. "Deswegen ist das Zitat, das als Belegkritik verwendet wird, eine besonders scharfe Waffe im Meinungskampf", so das OLG Frankfurt am Main in Bezug auf sein Urteil zu Künasts Klage gegen den Facebook-Post mit angeblichem Zitat von ihr.
Wichtig sei, „was der Zitierte gemessen an seiner Wortwahl, dem Kontext seiner Gedankenführung und dem darin erkennbar gemachten Anliegen zum Ausdruck gebracht hat“.
Dass Künast mit ihrem Zwischenruf "Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist" Sex mit Kindern gutheiße, sei lediglich eine Deutung der Äußerung – also eine persönliche Meinung. Ja, wenn man die Aussage "Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist" um „ist Sex mit Kindern doch ganz ok. Ist mal gut jetzt" ergänzt, dann wirkt es, als würde Künast Pädophilie in Ordnung finden. Aber: Diesen zweiten Satz hat Künast so nicht gesagt – und vor allem nicht in Verbindung mit der ersteren Aussage.
Die erste Aussage allein und für sich sei inhaltsleer und ohne den obig beschriebenen Kontext der Rede und der Zwischenfrage im Berliner Parlament nicht richtig zu verstehen. Wie Künasts Aussage in dem Kontext, in dem sie sie gemacht hat, gedeutet wird, ist eine andere Frage – jedenfalls muss dieser Kontext aber genannt werden, wenn Künasts Äußerung zitiert wird.
Denn sonst passiert das, was Künast auf Facebook passiert ist: Viele wütende Facebook-User äußerten ihren Unmut über Künasts angebliche Gutheißung von Sex mit Kindern in entsprechenden Hasskommentaren und Beleidigungen – und das nur auf Grundlage des Facebook-Posts mit dem zitierten Satz von Künast, der ohne Zusammenhang dargestellt worden war und den Künast so wortwörtlich gar nicht gesagt hatte.
Nun hat also auch das OLG Frankfurt geurteilt, dass schon das fehlleitendende Zitat, auf das sich die verurteilten Hasskommentare beziehen, nicht gesetzeskonform sei, nachdem das Landgericht Berlin (schließlich doch) und auch das Kammergericht entschieden hatten, dass die Kommentare gegen Künast als Beleidigungen rechtswidrig seien (Abhilfebeschluss v. 21.01.2020, Az. 27 AR 17/19.). Denn das angebliche Zitat von Künast auf Facebook hatte eine Welle von Hass und Beleidigungen vieler User auf der Internet-Plattform nach sich gezogen.
Damit können Betroffene von Hass, Beleidigungen und Verschmähungen im Internet einen weiteren gerichtlichen Erfolg für sich verbuchen – nun also sogar durch ein Urteil des OLG Frankfurt am Main.
>>> "Beschwerde von Renate Künast wegen Facebook Beleidigungen erfolgreich".
Sehen auch Sie sich durch aus dem Zusammenhang gerissene Zitate in Ihrem Persönlichkeitsrecht eingeschränkt oder werden Sie mit Beleidigungen, Hasskommentaren oder Ähnlichem im Internet konfrontiert und suchen einen Rechtsanwalt für Internetrecht und Reputationsrecht?
Unsere Anwälte von SBS Legal sind durch die langjährige Erfahrung unserer Kanzlei im Internetrecht und Reputationsrecht vertraut mit allen rechtlichen Implikationen dieser Rechtsgebiete. Wir beraten Sie kompetent in Sachen des Internetrechts, Social Media Rechts und anderen reputationsrechtlichen Themen.
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