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Laut BAG Keine Pflicht zur Jobsuche während Kündigungsfrist


Die Kündigungsfrist spielt eine zentrale Rolle beim Wechsel von bestehenden Arbeitsverhältnissen und bei der Jobsuche von Fachkräften. Solch ein Wechsel gehört zum Alltag eines funktionierenden Arbeitsmarkts und ist Ausdruck der durch Artikel 12 Grundgesetz (GG) garantierten Berufsfreiheit. Arbeitgeber können betriebliche Entscheidungen treffen, die auch den Verlust des Arbeitsplatzes für einzelne Beschäftigte bedeuten. Umgekehrt dürfen Arbeitnehmer auf Grundlage ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Lebenssituation entscheiden, ob und wann sie eine neue Tätigkeit aufnehmen wollen. Wenn sich ein Arbeitgeber nach einer ordentlichen Kündigung entschließt, seinen Arbeitnehmer während der Kündigungsfrist unwiderruflich von der Arbeitsleistung freizustellen, entstehen daraus jedoch Rechtsfolgen, insbesondere im Hinblick auf die Vergütungspflicht. Ob und inwieweit sich ein freigestellter Arbeitnehmer in diesem Zeitraum auf offene Stellen bewerben oder sogar eine neue Beschäftigung annehmen muss, war lange Zeit Gegenstand arbeitsrechtlicher Unsicherheit. Muss er sich um eine neue Stelle bemühen und, falls nicht, verliert er dann den Anspruch auf Gehalt?


Annahmeverzug:

Regelmäßig kein böswilliges Unterlassen bei unterbliebener Aufnahme einer anderweitigen Beschäftigung noch während der ordentlichen Kündigungsfrist.


Wo liegen die Grenzen der Erwerbsobliegenheit im Annahmeverzug? Das Bundesarbeitsgericht konkretisiert die Anforderungen an § 615 Satz 2 BGB.

Das BAG hat diese Frage für die Zeit während der ordentlichen Kündigungsfrist in seinem Urteil vom 12. Februar 2025 (Az. 5 AZR 127/24) neu bewertet. Die Entscheidung ist ein Meilenstein für Rechtssicherheit und ein praxisnaher Kompass für Unternehmen und Beschäftigte.

Vom Kündigungsschutz bis zum BAG: Drei Instanzen im Streit um Gehalt

Der Entscheidung lag ein arbeitsgerichtlicher Streit zwischen einem Senior Consultant und dessen Arbeitgeberin zugrunde. Der Kläger war seit November 2019 bei der Beklagten beschäftigt. Er wurde zum 30.06.2023 ordentlich gekündigt und zugleich unter Anrechnung von Resturlaub unwiderruflich freigestellt. Infolgedessen erhob der Senior Consultant Kündigungsschutzklage und gewann. Danach klagte er das Juni-Gehalt ein, das ihm wegen angeblicher böswilliger Untätigkeit nicht gezahlt worden war. Der Fall ging durch drei Instanzen bis zum BAG, mit einem eindeutigen Ergebnis zugunsten des Arbeitnehmers.

Erwerbsobliegenheit im Fokus: Streit um Stellenangebote und Gehaltsanspruch

Nach Erhalt der Kündigung meldete sich der Kläger Anfang April 2023 bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend. Konkrete Vermittlungsvorschläge durch die Arbeitsagentur erhielt er jedoch erst Anfang Juli 2023, also nach Ablauf der Kündigungsfrist. Die Arbeitgeberin hingegen übersandte dem Kläger bereits im Mai und Juni 2023 insgesamt 43 Stellenanzeigen, die sie aus öffentlichen Jobportalen oder Unternehmensseiten entnommen hatte. Aus ihrer Sicht waren diese Tätigkeiten für den Kläger geeignet. Der Kläger reagierte auf sieben dieser Angebote, allerdings erst ab dem 27. Juni 2023. Die Arbeitgeberin hingegen hatte zwischenzeitlich die Zahlung des Gehalts für Juni eingestellt. Die Begründung: Der Kläger verstoße gegen seine Erwerbsobliegenheit nach § 615 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), indem er es „böswillig unterlassen habe“, einen anderweitigen Verdienst zu erzielen. Aus diesem Grund müsse dieser hypothetische Verdienst auf den Vergütungsanspruch des Klägers angerechnet werden.

Das Arbeitsgericht folgte dieser Argumentation zunächst. Das Landesarbeitsgericht hingegen verurteilte die Beklagte zur Zahlung. Die Revision der Beklagten vor dem BAG blieb erfolglos.

Was ist ein Annahmeverzug?

Die zentrale Anspruchsgrundlage für den Lohnfortzahlungsanspruch des freigestellten Arbeitnehmers ist § 615 Satz 1 BGB. Danach bleibt der Arbeitgeber zur Zahlung der Vergütung verpflichtet, wenn er sich im Annahmeverzug befindet, das heißt, wenn er die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nicht entgegennimmt, obwohl dieser arbeitswillig ist. Durch die Freistellungserklärung des Arbeitgebers entfällt die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers, der Vergütungsanspruch bleibt jedoch erhalten.

§ 615 Satz 2 BGB enthält jedoch eine Einschränkung: Es sind solche Beträge auf die Vergütung anzurechnen, die der Arbeitnehmer durch anderweitige Arbeit verdient oder böswillig zu verdienen unterlässt. Der Begriff des böswilligen Unterlassens wurde bislang durch Rechtsprechung und Literatur nur auslegungsweise konkretisiert. Er setzt nach ständiger Rechtsprechung vorsätzliches, treuwidriges Verhalten voraus.

Keine böswillige Unterlassung im Regelfall: BAG-Begründung für die Regelvermutung

Nach Auffassung des BAG bleibt der Arbeitgeber auch während der laufenden Kündigungsfrist grundsätzlich zur tatsächlichen Beschäftigung des Arbeitnehmers verpflichtet, sofern nicht nachvollziehbare betriebliche oder persönliche Gründe dem entgegenstehen.

Entscheidet sich der Arbeitgeber dennoch dazu, den Arbeitnehmer einseitig von der Arbeitspflicht freizustellen, so hat er die hieraus resultierenden finanziellen Konsequenzen selbst zu tragen. Der Arbeitnehmer ist in dieser Phase rechtlich nicht gehalten, durch Aufnahme einer anderen Tätigkeit zur Entlastung des Arbeitgebers beizutragen.

Das Gericht hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass es dem Sinn und Zweck des § 615 Satz 2 BGB widersprechen würde, dem Arbeitnehmer bereits dann ein böswilliges Unterlassen zu unterstellen, wenn er es lediglich unterlässt, auf vom Arbeitgeber übermittelte Stellenanzeigen oder Vermittlungsvorschläge sofort zu reagieren. Eine Anrechnung hypothetischen Einkommens komme nur dann in Betracht, wenn sich mit der erforderlichen Sicherheit feststellen lasse, dass dem Arbeitnehmer ein konkretes und zumutbares Angebot bekannt war und er es gleichwohl in vorsätzlicher Weise ignoriert habe.

Im vorliegenden Fall lagen weder hinreichende Hinweise auf eine solche Böswilligkeit noch auf eine erhebliche Pflichtverletzung vor. Der Kläger hatte sich noch während der Kündigungsfrist, wenn auch spät, auf mehrere Stellenangebote beworben. Darüber hinaus hatte er sich unverzüglich arbeitssuchend gemeldet. Die Agentur für Arbeit hatte ihm erst nach Ablauf der Kündigungsfrist konkrete Angebote unterbreitet. Eine frühere Aufnahme einer anderweitigen Beschäftigung wäre realistisch nur bei außer-gewöhnlicher Eigeninitiative möglich gewesen, zu der der Kläger nicht verpflichtet war.

Zumutbarkeit und Treuwidrigkeit: Strenge Maßstäbe für fiktiven Verdienst

Der Fünfte Senat des BAG entschied, dass § 615 Satz 2 BGB in enger Verbindung zum allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB steht. Eine Anrechnung eines lediglich theoretisch erzielbaren Einkommens stellt demnach eine Ausnahme dar, die restriktiv auszulegen ist. Ein solcher Abzug kommt nur dann in Betracht, wenn dem Arbeitnehmer ein realistisches, zumutbares Beschäftigungs-angebot tatsächlich vorlag und er dieses in einer Weise unbeachtet ließ, die mit den Anforderungen redlichen Verhaltens nicht mehr vereinbar ist.

Die Frage der Zumutbarkeit wiederum lasse sich nicht abstrakt beantworten, sondern bedürfe einer sorgfältigen Prüfung aller maßgeblichen Einzelfallumstände; dazu zählen insbesondere die fachliche Eignung des Arbeitnehmers, die örtliche Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der angebotenen Tätigkeit sowie die verbleibende Dauer des bestehenden Arbeitsverhältnisses.

Im konkreten Fall hatte die Arbeitgeberin indes weder hinreichend dargelegt, weshalb dem Kläger eine anderweitige Beschäftigung tatsächlich zumutbar gewesen wäre, noch begründet, warum dieser sich früher oder intensiver hätte bewerben müssen. Auch fehlte es an einer nachvollziehbaren Darlegung, aus welchen Gründen eine Weiterbeschäftigung im eigenen Unternehmen während der laufenden Kündigungsfrist ausgeschlossen war. Die Freistellung war vielmehr einseitig erklärt worden, ohne erläuternden Hinweis auf betriebliche Hinderungsgründe oder ein Angebot zur Beschäftigungsalternative. Unter diesen Gegebenheiten war ein treuwidriges Verhalten des Arbeitnehmers nicht ersichtlich.


Grundsatzentscheidung des BAG (5 AZR 127/24):

Ein Arbeitnehmer handelt regelmäßig nicht böswillig im Sinne des § 615 Satz 2 BGB, wenn er es unterlässt, während der ordentlichen Kündigungsfrist eine anderweitige Beschäftigung aufzunehmen.


Folgen für die Praxis: Anforderungen an Arbeitgeberseite

Für Arbeitgeber ergeben sich aus dem Urteil weitreichende Implikationen. Wer die Anrechnung fiktiven Verdienstes nach § 615 Satz 2 BGB geltend machen will, muss künftig substantiierter darlegen, inwiefern dem Arbeitnehmer ein zumutbares Alternativangebot vorgelegen hat und weshalb eine Weiterbeschäftigung im eigenen Betrieb objektiv nicht möglich war. Die bloße Übersendung von Jobangeboten ohne Rücksprache, Einordnung oder Nachweis der Zumutbarkeit reicht nicht mehr aus.

Darüber hinaus empfiehlt sich, eine Freistellung immer mit einer transparenten Begründung zu verbinden. Wird der Arbeitnehmer hingegen einseitig und ohne jede Erläuterung von der Arbeitspflicht entbunden, so trägt der Arbeitgeber grundsätzlich das Risiko der daraus resultierenden Vergütungspflicht.

Zudem ist zu beachten: Der Arbeitgeber kann nicht einfach davon ausgehen, dass der Arbeitnehmer jede Maßnahme zur Eigenbewerbung von sich aus ergreifen wird. Eine aktive Mitwirkung des Arbeitgebers, beispielsweise durch Nachweis der objektiven Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung, ist unerlässlich, um eine spätere Anrechnung erfolgreich durchzusetzen.


Wichtige Leitsätze für die Praxis:

Eine einseitige Freistellung durch den Arbeitgeber begründet Annahmeverzug. Während der Kündigungsfrist besteht keine generelle Erwerbsobliegenheit des Arbeitnehmers. Eine Anrechnung fiktiven Verdienstes ist nur bei vorsätzlichem, treuwidrigem Verhalten zulässig. Arbeitgeber müssen die Unmöglichkeit der Weiterbeschäftigung im Betrieb aktiv darlegen. Der Begriff des „böswilligen Unterlassens“ ist eng auszulegen – reine Passivität reicht nicht aus.


Abgrenzung zur Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist

Anders stellt sich die Lage für Zeiträume nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses dar. Für diesen Zeitraum hat das BAG bereits mehrfach entschieden, dass ein Arbeitnehmer bei fortbestehendem Annahmeverzug verpflichtet ist, sich aktiv um eine neue Beschäftigung zu bemühen. Bleibt er trotz erkennbarer und zumutbarer Möglichkeiten untätig, kann eine Anrechnung fiktiven Verdienstes gerechtfertigt sein, insbesondere wenn sich der Arbeitnehmer in einem fortdauernden Annahmeverzugszeitraum auf seinen Bestandsschutzanspruch beruft, ohne ernsthafte Eigenbemühungen zu entfalten.

Der aktuelle Beschluss des 5. Senats betrifft jedoch explizit die Kündigungsfrist, also den Zeitraum bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Hier ist der Maßstab deutlich strenger. Die Berufsfreiheit des Arbeitnehmers wiegt in dieser Phase besonders schwer. Der Arbeitnehmer ist in dieser Zeit nach wie vor formell bei seinem bisherigen Arbeitgeber beschäftigt und unterliegt daher auch keinen arbeitslosenrechtlichen Verpflichtungen zur Eigenbewerbung.


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