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Neues zu Legal Tech – aktuelle Gerichtsentscheidungen


2020 kommt der Begriff „Legal Tech“ endgültig bei den Gerichten an

Erst seit diesem Jahr hat sich der Begriff „Legal Tech“ (von Legal Technology) wirklich verbreitet, sodass sich nun auch Gerichte mit der Thematik auseinandersetzen müssen. Vor einigen Monaten noch erzielte die Online-Suche nach Rechtsprechungen zum Stichwort „Legal Tech“ noch kaum bis gar keine Treffer – inzwischen sind Suchergebnisse bis in den oberen zweistelligen Bereich zu finden. Besonders seit Anfang dieses Jahres hat die Schlagzahl neuer Gerichtsentscheidungen stark zugenommen.

Was genau ist Legal Tech?

Bisher konnte sich noch kein Gericht zu einer ausführlichen Begriffsbestimmung durchringen. Das Landgericht (LG) Berlin definierte Legal Tech beispielsweise als „computerbasierte und standardisierte Fallanalyse“.

Allgemein bezeichnet Legal Tech jedoch IT-gestützte Technik, die juristische Arbeitsprozesse unterstützt und automatisiert, wobei das Ziel sein soll, die Rechtsdienstleistungen effizienter zu erbringen. In den Gerichtsentscheidungen sind allerdings fast ausschließlich Geschäftsmodelle von nichtanwaltlichen Anbietern betroffen. Diese Modelle werden vorwiegend für Verbraucher eingesetzt und bieten automatisierte, typischerweise algorithmenbasierte Verfahren zur Fallbearbeitung.

 

Bedeutende Entscheidungen des OLG Köln und des BGH

Inhaltlich fokussieren sich die Entscheidungen der Gerichte bislang im Wesentlichen auf zwei Aspekte von Legal Tech: zum einen auf die – in Abtretungskonstellationen über § 134 BGB damit verbundene – jeweilige Aktivlegitimation der Dienste. Aktivlegitimiert ist, wer nach der materiell-rechtlichen Rechtslage auch Inhaber des eingeklagten Rechts ist; die Aktivlegitimation ist dabei notwendige Voraussetzung der Begründetheit einer Klage. Zum anderen fokussieren sie sich auf die Vereinbarkeit nichtanwaltlicher Legal Tech-Geschäftsmodelle als solche mit dem Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG).

Im Jahr 2020 sticht insbesondere ein (noch nicht rechtskräftiges) Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Köln zum Begriff der erlaubnispflichtigen Rechtsdienstleistung hervor (OLG Köln, Urt. v. 19.06.2020, Az.: 6 U 263/19). Verstärkt wird dies durch die divergierende Entscheidung des LG Köln in der Vorinstanz (LG Köln, Urt. v. 08.10.2019, Az.: 33 O 35/19).

Das OLG Köln hat in seinem Urteil dabei weder die Programmierung noch die konkrete Anwendung des Dienstes Smartlaw als eine Tätigkeit angesehen, welche in konkreten fremden Angelegenheiten die Prüfung des Einzelfalls erfordert (vgl. die Legaldefinition der Rechtsdienstleistung in § 2 Abs. 1 RDG).

Ende des letzten Jahres erging die erste höchstrichterliche Entscheidung zu Legal Tech, wodurch sie sich auch als die bedeutendste herausstellt. Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied in seinem Urteil vom 27.11.2019, dass die Tätigkeiten des Legal Tech-Unternehmens Wenigermiete.de von der ihm erteilten Inkassolizenz gedeckt sind. Gleichzeitig hat der BGH die Abtretung von Ansprüchen aus einem Mietverhältnis an den Inkassodienstleister Lexfox (nunmehr Conny) als wirksam erachtet (siehe BGH, Urt. v. 27.11.2019, Az.: VIII ZR 285/18).

BGH nimmt gegenüber den Vorinstanzen eine liberale Position ein

Im ersten Halbjahr 2020 schlossen sich direkt zwei weitere, weitgehend gleichlautende BGH-Entscheidungen, die sich mit der Aktivlegitimation in Bezug auf den Dienst Wenigermiete.de befassen, an die erste vom November 2019 an (BGH, Urt. v. 08.04.2020, Az.: VIII ZR 130/19 sowie Urt. v. 06.05.2020, Az.: VIII ZR 120/19).

Im Vergleich zu den Vorinstanzen hat der BGH bei diesen Entscheidungen eine liberalere Position eingekommen, indem die Karlsruher Richter urteilten, dass die Inkassolizenz auch die Befugnis zur Beratung von Kunden im Voraus darüber, ob, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Höhe eine Forderung besteht umfasse. Dasselbe solle für die Prognose möglicher Erfolgsaussichten gelten.

Eine abweichende Entscheidung der 64. Zivilkammer des LG Berlin zu Wenigermiete.de dürfte unter diesen Vorzeichen vor dem BGH keinen Bestand haben (siehe LG Berlin, Urt. v. 29.04.2020, Az.: 64 S 95/19).

Auch einer Entscheidung des LG Hamburg liegt eine engere Interpretation der Inkassobefugnis zugrunde. Das LG Hamburg äußerte sich zu einem als Inkassodienstleister registrierten Unternehmen, welches zugleich eine gewerberechtliche Erlaubnis als Versicherungsmakler besaß. Von der Forderungseinziehung losgelöste rechtliche Prüfung, ob und wie eine Forderung erst zum Entstehen gebracht und geltend gemacht werden kann, hält das LG Hamburg nicht für von der Inkassolizenz gedeckt (LG Hamburg, Urt. v. 26.03.2020, Az.: 327 O 212/19). Das betroffene Unternehmen bot Prüfungsleistungen zur Bewertung und Rückabwicklung von Versicherungs-, Kauf- und Darlehensverträgen an.

Financialright im LKW-Kartell

Zwei weitere Instanzgerichte verfolgten in Bezug auf den Rechtsdienstleister Financialright eine ähnliche Linie. Financialright ist ein registrierter Inkassodienstleister, der im Rechtsdienstleistungsregister eingetragen ist.

Sie waren Kläger im sogenannten LKW-Kartell-Verfahren, in dem es um behauptete Schadensersatzansprüche wegen verbotener Preisabsprachen von über 3.000 Spediteuren geht. Als erstes verneinte das LG München wegen Verstoßes gegen das RDG die Aktivlegitimation von Financialright (LG München, Urt. v. 07.02.2020, Az.: 37 O 18934/17). Insbesondere beanstandete das Gericht, dass es Financialright von Anfang an um eine gerichtliche Tätigkeit, konkret die Erhebung einer Sammelklage, gehe.

Kaufland-Stiftung im Zuckerkartell

In Hinblick auf das Zuckerkartell hat das LG Hannover ähnlich entschieden (LG Hannover, Urt. v. 04.05.2020, Az.: 18 O 50/16). Auch die Richter des LG Hannover stützten sich im Wesentlichen auf die „vorrangige Ausrichtung auf eine gerichtliche Durchsetzung“ der klagenden Kaufland Stiftung.

Myright im VW-Dieselskandal

Das LG Braunschweig hatte im April 2020 im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Ansprüchen im VW-Dieselskandal über die Marke Myright zu entscheiden (LG Braunschweig, Urt. v. 30.04.2020, Az.: 11 O 3092/19). Hierbei gelangte es zum selben Ergebnis hinsichtlich Financialright.

Die Richter des LG Braunschweig stellten insbesondere den Umstand hervor, dass sich das in Deutschland registrierte Legal Tech-Unternehmen Myright die Rechte von über 2.000 Schweizern hatte abtreten lassen. Im konkreten Fall erbringe Myright in wertungswidersprüchlicher Weise Rechtsdienstleistungen im ausländischen bzw. Schweizer Recht. Allerdings seien im Rahmen des Registrierungsvorgangs als Inkassodienstleister in Deutschland Kenntnisse im Schweizer Recht nicht abverlangt, geprüft und für genügend befunden worden. Dies führe letztendlich zu einem Verstoß gegen das RDG, so die Braunschweiger Richter.

Mit der Entscheidung des LG Braunschweig wurde zwar nur der auf Praktikabilitätsgründen abgetrennte Anspruch von lediglich einem VW-Käufer abgeurteilt. Allerdings könnte das Schicksal der Klageabweisung, zumindest in erster Instanz, auch die anhängige Sammelklage mit den weiteren Klägern ereilen (Az.: 11 O 3136/17).

Erste Urteile zu kanzleiinternen Digitalisierungsvorgängen

Die Gerichte beschäftigen sich zwar momentan noch hauptsächlich mit nichtanwaltlichen Rechtsdienstleistung, doch inzwischen werden auch erste Urteile zu kanzleiinternen Digitalisierungsvorgängen gefällt.

Das Amtsgericht (AG) Köln entschied in einem solchen Urteil, dass die anwaltliche Geschäftsgebühr auch für ein Mahnschreiben, das durch einen Algorithmus generiert wurde, entstehe (AG Köln, Urt. v. 05.30.2020, Az.: 120 C 137/19). Das AG Köln erläuterte, dass sowohl bei der Anspruchprüfung durch den Anwalt selbst als auch durch den von ihm programmierten Algorithmus ein Geschäft im Sinne des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG, dort VV Nr. 2300) betrieben werde.

Nichtanwaltliche Legal Tech-Anbieter werden Gerichte noch länger beschäftigen

Die deutsche Rechtsprechung wird sich noch länger mit nichtanwaltlichen Anbietern von Legal Tech-Geschäftsmodellen, insbesondere der daraus entstehenden RDG-Thematik, beschäftigen müssen.

Im Hinblick auf die oben dargestellte, eher restriktive Linie der Instanzgerichte gegenüber der – zumindest im Fall von Wenigermiete.de – liberalen Auffassung des BGH, ist vor allem die Frage der Aktivlegitimation von Legal Tech-Unternehmen noch nicht geklärt. Untermauert wird dies von der auffallenden Häufigkeit von Revisionszulassungen in diesem Bereich.

Doch auch mit der kanzleiinternen Digitalisierung werden sich die Gerichte von nun an vermehrt auseinandersetzen müssen, da Kanzleien und Rechtsabteilungen ihre internen Geschäftsprozesse immer stärker effektivieren und automatisieren.


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