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Aktuell wird kontrovers über die rechtliche Einordnung von Nikotin Pouches debattiert. Unklar ist, welcher rechtlichen Produktkategorie diese zuzuordnen sind. Aufgrund ihrer charakteristischen Zusammensetzung, ihrer Form und ihrer Verzehrsart könnten tabakfreie Nikotinbeutel potenziell zu mehreren legalen Produktkategorien gehören (bspw. zu Lebensmitteln, Arzneimitteln, bestimmten Konsumgütern bzw. Tabak und verwandten Produkten).
Nikotin Pouches (dt.: Nikotinbeutel), auch Nikotinpods genannt, sind kleine kissenförmige Päckchen bzw. Zellstoffbeutel (sog. „Pouches“), die Nikotin sowie weitere Inhaltsstoffe (bspw. Pflanzenfasern, Wasser, Aromen), jedoch keinen Tabak, enthalten. Typischerweise werden die Nikotin Pouches zusammen mit anderen tabak- und nikotinhaltigen Produkten angeboten, z.B. in Tabakgeschäften und Tankstellen. Aus der Produktkennzeichnung ergibt sich, dass die Produkte nur für Erwachsene bestimmt und wegen ihres mit Tabakerzeugnissen vergleichbaren Nikotingehaltes nicht gesund sind.
Die Beutel sind für den oralen Gebrauch bestimmt und sollen in den Mund zwischen Oberlippe und Zahnfleisch genommen werden und dort für einige Zeit verbleiben. Sie sollen nicht gekaut und nach der Verwendung aus dem Mund entnommen sowie entsorgt werden. Aufgrund der Produktart ist offensichtlich, dass die Beutel nicht heruntergeschluckt werden sollen. Dies stellen zusätzlich Warnhinweise auf der Verpackung und eine Gebrauchsanleitung klar. Befinden sich die Nikotin Pouches im Mund, lösen sich aus dem Päckchen durch den Kontakt mit Speichel Nikotin sowie weitere Inhaltsstoffe heraus, welche sodann durch die Mundschleimhaut in den Körper aufgenommen werden und sodann in die Blutbahn übergehen. Die Inhaltsstoffe durchlaufen somit in aller Regel nicht den Magen-Darm-Trakt, denn eine Aufnahme hierüber durch Schlucken von Speichel ist nicht vorgesehen. Selbstredend lässt sich dies nicht mit Sicherheit ausschließen.
Es gilt der Grundsatz: Was verzehrt wird, um über den Magen-Darm-Trakt aufgenommen zu werden, ist ein Lebensmittel. Aber wie ist es nun bei dieser noch jungen Produktkategorie der „tabakfreien Nikotinbeutel“, die dazu bestimmt ist, dass die Inhaltsstoffe (weitgehend) über die Mundschleimhaut aufgenommen werden? Sind diese als Lebensmittel zu klassifizieren?
Müssen Nikotin Pouches den (strengeren) Anforderungen genügen, die an sog. „Lebensmittel“ gestellt werden oder sind diese Beutel möglicherweise schlicht nach den Regelungen des Produktsicherheitsgesetzes (ProdSG) zu beurteilen?
In Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 findet sich eine EU-weit einheitliche und verbindliche Definition des Lebensmittels. Danach sind „Lebensmittel“ alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden. Maßgeblich für die Einstufung als Lebensmittel ist daher der Begriff der „Aufnahme“.
Die Begriffsbestimmung hat eine positive sowie negative Ausprägung. So sind nach Art. 2 Unterabs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 spezielle Produktgruppen, bspw. Arzneimittel sowie Tabakerzeugnisse, auch dann nicht als Lebensmittel zu klassifizieren, wenn sie alle Tatbestandsmerkmale von Art. 2 Unterabs. 1 der Verordnung erfüllen.
Für die Einordnung eines Stoffes als Lebensmittel ist zudem nicht allein dessen Beschaffenheit oder Eignung als Lebensmittel, sondern auch dessen Zweckbestimmung, die Aufnahme durch den Menschen, maßgebend.
Besonders problematisch im Falle der Nikotin Pouches ist der Umstand, dass nicht klar ist, ob das in den Beuteln enthaltene Nikotin sowie die weiteren durch Speichel gelösten Inhaltsstoffe „dazu bestimmt“ sind, „von Menschen aufgenommen“ zu werden, vgl. Art. 2 Unterabs. 1 der Verordnung (EG) 178/2002.
Es lässt sich nicht bestreiten, dass die Aufnahme von Nikotin über die Mundschleimhaut von dem Normalfall der Aufnahme eines Lebensmittels abweicht, da diese normalerweise geschluckt werden und damit in den Magen-Darm-Trakt gelangen. Dieser Normalfall wird als Verzehren bezeichnet, wobei hierunter, nach § 3 Nr. 5 LFGB (Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch), das Aufnehmen von Lebensmitteln durch den Menschen durch Essen, Kauen, Trinken sowie durch jede sonstige Zufuhr von Stoffen in den Magen zu fassen ist. In der amtlichen Begründung des Lebensmittel-und Futtermittelgesetzbuches heißt es dabei, dass solche Stoffe nicht vom Begriff des Verzehrens umfasst sind, welche in den Körper eingerieben, eingespritzt oder eingeatmet werden, ohne dem Magen zugeführt zu werden. Der Begriffsbestimmung in § 3 Nr. 5 LFGB zufolge wird das in den Nikotin Pouches enthaltene Nikotin bestimmungsgemäß nicht verzehrt, da es gerade nicht in den Magen gelangt bzw. gelangen soll.
Hierbei handelt es sich jedoch nur um die nationale Definition; auf die EU-konforme Auslegung des Begriffs „Aufnehmen“ in Art. 2 Unterabs. 1 der Verordnung (EG) 178/2002 hat dies jedoch keine (unmittelbaren) Auswirkungen.
Umfasst Art. 2 Unterabs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 daher möglicherweise auch diese spezielle Form des Stoffeintritts in den menschlichen Körper, nämlich über die Mundschleimhaut unter Umgehung des Magen-Darm-Trakts oder ist auch hier ein „Verzehr“, d.h. eine Zufuhr in den Magen bzw. Magen-Darm-Trakt erforderlich?
Dieser Frage mussten jüngst u.a. das Verwaltungsgericht (VG) Augsburg, Beschl. v. 19.06.2020 – Au 9 S 20.847, sowie das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg, Beschl. v. 09.02.2021 – 13 ME 580/20, nachgehen.
Es werden unterschiedliche Auffassungen vertreten. Während teils eine Positionierung dahingehend erfolgt, dass der Begriff der Aufnahme mit dem Begriff des Verzehrens gleichzusetzen und eine Zufuhr von Stoffen in den Magen notwendig ist, orientieren sich andere Stimmen vermehrt am Wortlaut von Art. 2 Unterabs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002, wonach nicht von dem Erfordernis der Zufuhr eines Stoffes in den Magen auszugehen sei.
Teils wird angeführt, die EU-Kommission habe sich bei ihrem Vorschlag für eine neue Lebensmitteldefinition auf der Basis der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 an der damals international vorhandenen Definition im Codex Alimentarius orientiert, in welcher das Wort „consumption“, welches mit „Verzehr“ übersetzt worden ist, verwendet wurde. Es lässt sich hieraus folgern, dass der Definition des Codex Alimentarius jedenfalls ein traditionelles Verständnis der Aufnahme von Lebensmitteln über den Magen-Darm-Trakt zugrunde liegt. In ihrem Grünbuch weist die EU-Kommission ausdrücklich darauf hin, dass ihr Vorschlag einer Lebensmitteldefinition auf der des Codex Alimentarius beruht. Jedoch heißt es in dem Vorschlag statt „intended for human consumption“ (Codex Alimentarius, s.o.) „intended to be ingested by humans“, so dass das Wort „consumption“ durch „ingested“ ersetzt worden ist. Dieses Vorgehen wird durch die EU-Kommission dadurch begründet, dass von einem weiten Verständnis auszugehen sei und dass der Begriff der „Aufnahme durch den Menschen“ gewählt wurde, um „alle Erzeugnisse zu erfassen, die den Magen-Darm-Trakt durchlaufen“. Dadurch, dass sodann aber zugleich ausdrücklich Bezug auf die Kriterien der Definition des Codex Alimentarius, insbesondere auf den Begriff „consumption“, Bezug genommen wird, kann jedoch nicht sicher davon ausgegangen werden, dass die Kommission das Verständnis einer Aufnahme über den Magen-Darm-Trakt aufgegeben hat.
In ihrer Erläuterung beschränkt die EU-Kommission den Begriff „Aufnahme“ („ingestion“) jedenfalls ausdrücklich dahingehend, dass eine Aufnahme über den Magen-Darm-Trakt („gastrointestinal tract“) gemeint ist. Dieses Verständnis wird auch durch die Erläuterung deutlich, dass vom Lebensmittelbegriff solche Stoffe erfasst sein sollen, welche über eine Sonde, welche meist über die Nase eingeführt wird, in den Magen gelangen; nicht aber solche, welche direkt in den Blutkreislauf gelangen, also außerhalb des Verdauungssystems aufgenommen werden. Die EU-Kommission verdeutlicht hierdurch, dass sich die Weite des Begriffs „Aufnahme“ insbesondere auf den Ort der primären Zufuhr (Mund oder Nase) bezieht, nicht aber soll die extensive Handhabung des Begriffs dazu führen, dass von dem traditionellen Verständnis einer Aufnahme von Stoffen über den Magen-Darm-Trakt abgewichen wird.
Interessant ist auch ein Blick auf die Regelungen in Art. 2 Unterabs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002, wonach ausdrücklich beispielsweise Kaugummis zu den Lebensmitteln zählen. Die Besonderheit ist, dass der Kaugummi selbst, also das Produkt als solches, nicht verzehrt, also geschluckt und infolgedessen nicht dem Magen-Darm-Trakt zugeführt wird. Die aus dem Kaugummi gelösten Stoffe werden jedoch bestimmungsgemäß mit dem Speichel geschluckt und im Magen-Darm-Trakt aufgenommen. Nicht vollständig auszuschließen ist jedoch, dass jedenfalls ein Teil der in einem Kaugummi enthaltenen Stoffe unmittelbar über die Mundschleimhaut aufgenommen werden – die Art und Weise der Aufnahme gleicht dann im weitesten Sinne der von Nikotin Pouches. Aufgrund dieser Besonderheit sah sich der Gesetzgeber wohl dazu veranlasst, eine klarstellende Sonderregelung bzgl. der Einordnung von Kaugummis, welche einen Zweifelsfall darstellen, zu schaffen. Bei dieser Sonderregelung hatte der Gesetzgeber offensichtlich die Aufnahme von Lebensmitteln über den Magen-Darm-Trakt im Blick, anderenfalls hätte es keiner expliziten Regelung bedurft. Im Umkehrschluss kann also davon ausgegangen werden, dass die Grundregelung zum Lebensmittelbegriff in Art. 2 Unterabs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 die Aufnahme über den Magen-Darm-Trakt voraussetzt.
Zu berücksichtigen ist zudem, dass der EU-Gesetzgeber an verschiedenen Stellen, u.a. in der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 selbst, ausdrücklich Bezug auf den menschlichen Verzehr von Lebensmitteln Bezug nimmt, vgl. etwa Art. 14 Abs. 2 b) sowie Art. 14 Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002. Dass der Gesetzgeber eine solch weitreichende Unterscheidung im Blick hatte, ist nicht anzunehmen, so dass Verzehr und Aufnahme im Rahmen der Verordnung im Prinzip dieselbe Bedeutung haben und der weitere Begriff der Aufnahme nur den Zweck verfolgen soll, Unklarheiten hinsichtlich Sondennahrung und ähnlichen Ernährungsformen zu vermeiden. Die historische Auslegung wird im Ergebnis durch die systematische Auslegung nochmals bestätigt.
Dafür, dass vom Lebensmittelbegriff nur ein Verzehr in Form der Aufnahme über den Magen-Darm-Trakt erfasst ist, spricht im Übrigen auch das in Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 festgeschriebene primäre Ziel des EU-Lebensmittelrechts, lebensmittelbezogen die Gesundheit der Verbraucher zu schützen. Der Fokus der Prüfung, ob ein Lebensmittel sicher ist, liegt im Ergebnis auf den Auswirkungen seines Verzehrs.
Überdies sollte Folgendes berücksichtigt werden: Schon die Verkaufsweise in Tabakläden und -abteilungen, die Präsentation, die Anwendungshinweise und das Produkt selbst bzw. dessen äußeres Erscheinungsbild lassen es fernliegend erscheinen, dass ein Verbraucher auf die Idee kommen könnte, er würde ein Lebensmittel erwerben oder das Produkt sei zum Verzehr oder zu einer wie auch immer gearteten Aufnahme über den Magen-Darm-Trakt bestimmt. Im Rahmen der konkreten Zweckbestimmung sei davon auszugehen, dass dieses Produkt gerade nicht für einen Verzehr bzw. für eine Aufnahme über den Magen bestimmt ist, sondern als transdermales Absorptionsprodukt. Aufgrund der Verwendungsbestimmung, der Produktaufmachung und der Verkaufspräsentation, wird kein Verbraucher bei Nikotin Pouches von einem Lebensmittel ausgehen (dürfen).
Eine Auslegung der Norm legt daher nahe, dass Art. 2 Unterabs. 1 der Verordnung (EG) 178/2002 ausschließlich die Aufnahme von Stoffen über den Magen-Darm-Trakt erfasst, weswegen die hier umstrittenen Nikotin Pouches, deren Inhaltsstoffe, insbesondere das Nikotin, primär über die Mundschleimhaut ins Blut aufgenommen werden, nicht als Lebensmittel i.S.v. Art. 2 Unterabs. 1 der Verordnung (EG) 178/2002 einzuordnen sind.
Zu diesem Ergebnis kommen überdies auch andere EU-Mitgliedstaaten, wie bspw. Schweden. Hier geht aus einem Beschluss des staatlichen Zentralamts für Lebensmittelwesen hervor, dass Nikotin-Pouches nicht als Lebensmittel zu klassifizieren sind. Andere europäische Überwachungsbehörden, in deren Ländern (z.B. Dänemark, Schweden, Litauen) die Erzeugnisse hergestellt werden, stufen die Nikotin Pouches als Verbraucherprodukte nach Art. 2 lit a) der Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95/EG ein. Das streitbefangene Produkt stammt aus Schweden. Die nationale schwedische Überwachungsbehörde hatte schon früh eine rechtliche Bewertung vorgenommen und in ihrer veröffentlichten Stellungnahme eingehend begründet, weswegen die Nikotin Pouches keine Lebensmittel nach Unionsrecht sind (Amtliche Stellungnahme des schwedischen Zentralamts für Lebensmittelwesen vom 18.2.2019, Az.: 2019/00929).
Das VG Augsburg und OVG Lüneburg schließen sich diesen Ausführungen jedoch nicht an, sondern vertreten die Auffassung, dass es sich bei den streitgegenständlichen „Nicopods“ um „Lebensmittel“ im Sinne dieser Definition handelt, da das Erzeugnis zur oralen Aufnahme durch den Menschen bestimmt sei. Der weit gefasste Begriff des „Aufnehmens durch den Menschen“ in der Definition für Lebensmittel schließe sowohl die Aufnahme im Mund durch die Mundschleimhaut, als auch die Aufnahme der verschluckten Anteile über die Magenschleimhaut ein. Die Voraussetzungen des unionsrechtlichen Lebensmittelbegriffs seien im Falle der Nikotinbeutel daher gegeben.
Die Gerichte stellen sich zudem auf den Standpunkt, dass es sich bei den streitgegenständlichen „Nicopods wegen des dort enthaltenen Nikotins um ein nicht sicheres Lebensmittel i.S.d. Art. 14 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 178/2002, also um ein gesundheitsschädliches Produkt, handele, da der Bestandteil Nikotin eine hohe akute Toxizität besitze, so dass grundsätzlich ein Verstoß gegen die Anforderungen des Lebensmittelrechts gegeben ist.
So seien – laut Auffassung der Gerichte – von dem Lebensmittelbegriff des Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 178/ 2002 gerade auch Stoffe erfasst, die nicht verzehrt werden. Der weitergehende Begriff „Aufnahme“ umfasst daher – entgegen dem in § 3 Nr. 5 LFGB nationalrechtlich definierten Begriff des „Verzehrens“ – nicht nur Stoffe, die durch den Mund gezielt dem Magen zugeführt werden, sondern auch solche, die anderweitig – beispielsweise über die Mundschleimhaut – in den Körper eines Menschen gelangen.
Es genüge für die Einstufung als Lebensmittel, dass der Stoff aufgenommen und damit auch anders als durch Verzehr in den Körper gelangen könne. Dies entspreche auch der englischen und französischen Fassung des Art. 2 der BasisVO, da in den Leitfassungen das französische Wort „ingère“ bzw. der englische Ausdruck „to be ingested“ gerade nicht eine Aufnahme über den Magen erfasse. Ausreichend für ein Lebensmittel sei vielmehr eine orale Aufnahme, bspw. wenn – wie bei Nikotinbeuteln – das Nikotin über die Mundschleimhaut in die Blutbahn gerate. Diese Unterscheidung sei auch deswegen gerechtfertigt, da das Lebensmittelrecht ein hohes Maß an Gesundheitsschutz gewährleisten müsse.
Schließlich spreche – nach Auffassung des Gerichts – auch die Entstehungsgeschichte gegen eine Gleichstellung von „Aufnahme“ und „Verzehr“, denn dem Grünbuch der EU-Kommission von 1997 sei eine gezielte Zufuhr von Stoffen in den Magen gerade nicht zu entnehmen. Eine Zweckbestimmung zum menschlichen Verzehr als Voraussetzung des europarechtlichen Lebensmittelbegriffs beinhalte die Verordnung (EG) Nr. 178/2002 nicht. Abzugrenzen von dem Stoffbegriff seien somit nur physikalische oder chemische Verfahren, wie beispielsweise die Zufuhr von Strahlen oder von Hitze.
Das OVG Lüneburg stellt sich ebenfalls auf den Standpunkt, dass es nicht darauf ankomme, ob das Lebensmittel seiner Bestimmung nach vollständig in den Körper gelangt oder ob es nur Stoffe abgibt, die in den Körper gelangen. Es sei nicht tragfähig, für die Abgrenzung zwischen Kaugummi und Nikotin Pouches auf das Kauen und Anregen des Speichelflusses abzustellen, da Kauen und Speichelflussanregung hinsichtlich des Gesundheitsschutzes und zur sonstigen Abgrenzung von Lebensmitteln erkennbar kein Kriterium sein können. Auch die tabakfreien Nikotinbeutel, die wie Kaugummi durch ihren Aufenthalt im Mundraum Stoffe in den menschlichen Körper abgeben, sollen vom Lebensmittelbegriff umfasst sein.
Die streitgegenständlichen Produkten seien daher nach Auffassung der Gerichte unzweifelhaft unter den weit gefassten Stoffbegriff des Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 zu subsumieren.
Werden tabakfreie Nikotinbeutel jedoch möglicherweise, insbesondere im Falle einer Ablehnung der Klassifizierung als „Lebensmittel“, von anderen Vorschriften der produktspezifischen Regulierung erfasst? Oder sind sie Gegenstand der Regelungen des allgemeinen Produktsicherheits- und Chemikalienrechts? Sodann würden die allgemeinen Regelungen des Produktsicherheitsgesetzes auf Nikotin Pouches Anwendung finden.
Sind Nikotinbeutel möglicherweise als Tabakerzeugnisse i.S.d. Gesetzes über Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse (TabakerzG) einzuordnen? Aufgrund ihrer Zweckbestimmung, Aufmachung und Darreichung ähneln die Produkte Tabakwaren.
Nach der Begriffsbestimmung für Tabakerzeugnisse in § 1 Abs. 1 Nr. 1 TabakerzG i.V.m. Art. 2 Nr. 4 der Richtlinie 2014/40/EU könnten Nikotinbeutel nur dann als Tabakerzeugnisse eingeordnet werden, wenn sie als Konsumprodukte ganz oder jedenfalls teilweise aus Tabak bestehen, wobei Tabak nach Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2014/40/EU Blätter und andere natürliche Teile der Tabakpflanze sind. Durch das Tatbestandsmerkmal „natürliche“ hat der Gesetzgeber verdeutlicht, dass sich der Begriff des Tabakerzeugnisses nicht auf isolierte Substanzen wie Nikotin erstreckt, wenn sie außerhalb ihrer natürlichen Matrix der Tabakpflanze verwendet werden, weswegen es somit auch nicht von Bedeutung ist, ob das in Nikotinbeuteln als Reinsubstanz verwendete isolierte Nikotin ursprünglich aus der Tabakpflanze stammt. Keinesfalls handelt es sich bei dem isolierten Nikotin um ein natürliches verarbeitetes Teil der Tabakpflanze, weil das Nikotin jedenfalls aus dem natürlichen Zusammenhang der Tabakpflanze gelöst worden ist. Nikotin Pouches sind somit nicht als Tabakerzeugnisse i.S.d. TabakerzG bzw. der Richtlinie 20114/40/EU zu verstehen, da sie keine natürlichen Teile der Tabakpflanze enthalten.
Jedoch könnten Nikotinbeutel in die Kategorie der verwandten Erzeugnisse fallen. Den Produkten ist gemeinsam, dass sie keinen Tabak enthalten, vgl. hierzu den Katalog in § 2 Nr. 2 TabakerzG. Insgesamt handelt es sich somit um Erzeugnisse, welche ähnlich wie Tabakerzeugnisse konsumiert werden, die aber lediglich Nikotin (und andere Inhaltsstoffe) als Reinsubstanzen bzw. andere pflanzliche Stoffe als Tabak enthalten. Zwar ist die Kategorie der verwandten Erzeugnisse in § 2 Nr. 2 TabakerzG im Prinzip offen für weitere Produkte; die aktuelle Fassung ist jedoch wohl abschließend zu verstehen, so dass nur die dort derzeit ausdrücklich genannten Produkte erfasst sind. Tabakfreie Nikotinbeutel sind somit auch keine mit Tabakerzeugnissen verwandten Erzeugnisse i.S.d. aktuellen Begriffsbestimmung in § 2 Nr. 2 TabakerzG, weil diese in Form einer Positivaufzählung der erfassten Produkte abschließend ist und tabakfreie Nikotinbeutel derzeit nicht nennt. Mangels planwidriger Regelungslücke scheidet auch eine analoge Anwendung der Regelung auf verwandte Erzeugnisse und damit auf tabakfreie Nikotinbeutel aus.
Das Erzeugnis falle daher – übrigens auch nach Auffassung des VG Augsburg – nicht in den Anwendungsbereich des Tabakrechts.
Nach der Begriffsbestimmung für Arzneimittel in § 2 Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes (AMG) können Erzeugnisse entweder aufgrund ihrer Bestimmung, § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG, oder aufgrund ihrer Funktion, § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG, als Arzneimittel anzusehen sein. Es müssten also die über europäisches Richtlinienrecht vorgegebenen Definitionskriterien aus § 2 Abs. 1 AMG erfüllt sein, wobei beide soeben genannten Unterkategorien – nach der einschlägigen Rechtsprechung – das Vorliegen einer objektiven Zweckbestimmung zur Heilung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten oder krankhaften Beschwerden erfordern. Eine solche Zweckbestimmung liegt hingegen bei tabakfreien Nikotinpäckchen, welche (überwiegend) zu Genusszwecken verwendet werden, nicht vor. Eine Einordnung tabakfreier Nikotinbeutel als Arzneimittel scheidet somit in aller Regel aus, wobei es selbstredend immer auf eine Einzelfallbetrachtung der Aufmachung, Kennzeichnung sowie Bewerbung konkreter Produkte ankommt.
Möglicherweise sind tabakfreie Nikotinbeutel jedoch rechtlich als Bedarfsgegenstände einzuordnen. Bedarfsgegenstände sind nach der gesetzlichen Definition, § 2 Abs. 6 Nr. 3 LFGB, alle „Gegenstände, die dazu bestimmt sind, mit den Schleimhäuten des Mundes in Berührung zu kommen“, was bei Nikotinbeuteln eindeutig der Fall ist. Die Verwendung ist im Hinblick auf den Kontakt mit der Mundschleimhaut vergleichbar mit der Verwendung etwa von Zahnbürsten oder Zahnstochern, die in der Kommentarliteratur als Beispiele für solche Bedarfsgegenstände genannt werden.
Jedoch betrifft die Zweckbestimmung ausschließlich die Zellstoffbeutel selbst, nicht jedoch deren Inhalt. Zum einen ist hinsichtlich der Inhaltsstoffe zweifelhaft, ob es sich dabei überhaupt um Gegenstände i.S.v. § 2 Abs. 6 Nr. 4 LFGB handelt; zum anderen sind die Inhaltsstoffe der Nikotinbeutel nicht dazu bestimmt, unmittelbar mit den Schleimhäuten des Mundes in Berührung zu kommen. Die Inhaltsstoffe der Beutel kommen nur in Form von Speichel, in dem sie gelöst werden, mit der Mundschleimhaut in Kontakt, nicht jedoch in Form des unmittelbaren Kontakts, wobei ein solcher nach dem Bedarfsgegenständebegriff gem. § 2 Abs. 6 Nr. 3 LFGB notwendig ist.
Die Zellstoffbeutel der tabakfreien Nikotin Pouches unterfallen der Definition eines Bedarfsgegenstandes nach § 2 Abs. 5 Nr. 3 LFGB, da es sich hierbei um Gegenstände handelt, welche dazu bestimmt sind, mit den Schleimhäuten des Mundes in Berührung zu kommen. Nicht hiervon umfasst sind jedoch die Inhaltsstoffe des Beutels, da sie bestimmungsgemäß jedenfalls nicht unmittelbar mit der Mundschleimhaut in Kontakt kommen.
Nikotin Pouches als Gesamtprodukt sind somit keine Bedarfsgegenstände und der Übergang von Nikotin aus den Beuteln in den menschlichen Organismus ist keine von den Verboten in den §§ 30 ff. LFGB erfasste Stoffmigration.
Dass es sich bei tabakfreien Nikotinbeutel um Verbraucherprodukte und damit um Produkte i.S.d. nachrangig anwendbaren Produktsicherheitsrechts handelt, ergibt sich ohne weiteres aus den Regelungen in § 2 Nr. 26 i.V.m. § 2 Nr. 22 und § 1 Abs. 1 ProdSG. Denn die Nikotin Pouches sind Waren, welche einen besonderen Fertigungsprozess durchlaufen haben und die für die Verwendung durch Verbraucher bestimmt sind. Jedenfalls die allgemeinen Regelungen des Produktsicherheitsgesetzes würden somit Anwendung finden. Maßstab des Produktsicherheitsgesetzes ist der Gesundheitsschutz im Hinblick auf fehlerfreie Produkte.
Wie die vorherigen Ausführungen zeigen, bestehen nach wie vor immense Unsicherheiten bzgl. der rechtlichen Klassifizierung von Nikotin Pouches. Diese Einordnung der Nikotinbeutel ist jedoch von erheblicher Bedeutung für eine Vielzahl von Hersteller, Importeure sowie Zwischen- und Einzelhändler, die entsprechende Produkte in Deutschland in Verkehr bringen. Klarstellende gesetzliche Regelungen wären äußerst wünschenswert. Immerhin ist aber eine – bis dato – (klare) Linie der deutschen Gerichte erkennbar, die sich für eine extensive Auslegung des Begriffs „Aufnehmen“ i.S.d. Verordnung (EG) Nr. 178/2002 positionieren und somit Nikotin Pouches unter den Lebensmittelbegriff fassen.
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