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Scheinselbständige sind Personen, die im Rechtsverkehr als Selbständige auftreten, tatsächlich aber zu den abhängig Beschäftigten gem. § 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) IV zählen. Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt und- Berufsforschung (IAB) und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales gibt es ca. 235.000 Scheinselbständige in Deutschland.
Bereits im Jahr 2017 hat die Deutsche Rentenversicherung ihre Kriterien zur Feststellung ob ein Arbeitnehmerverhältnis oder Selbständigkeit vorliegt verändert, sodass auch Scheinselbständige als Arbeitnehmer gelten. Wird der sozialversicherungsrechtliche Status durch die Deutsche Rentenversicherung von „selbständig“ zu „abhängig“ geändert, hat dies weitreichende sozialrechtliche und ggf. auch steuerliche Konsequenzen für die Betroffenen und den Arbeitgeber bzw. Auftraggeber und kann sogar strafrechtliche Folgen nach sich ziehen.
Ob eine Scheinselbständigkeit vorliegt ist in vielen Fällen nicht leicht festzustellen. Die selbständige Tätigkeit zeichnet sich durch freie Gestaltung, eine selbstbestimmte Arbeitszeit und Verfügbarkeit über die eigene Arbeitskraft aus. Selbständige tragen das unternehmerische Risiko und verfügen zudem über unternehmerische Entscheidungsfreiheit, wie z.B. im Hinblick auf Warenbezug, Einkaufs- und Verkaufspreise oder die Einstellung von Personal. Eine Pflicht zur Versicherung in der gesetzlichen Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung besteht für Selbständige nicht.
Scheinselbständige werden dagegen zunächst laut Geschäftsbesorgungsvertrag als selbständig eingestuft und beauftragt. Objektiv sind die Kriterien der Selbständigkeit jedoch nicht erfüllt, sondern es liegen die Merkmale eines Arbeitnehmers vor. Dabei stützt sich die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) auf die Merkmale der persönlichen Abhängigkeit, der Weisungsgebundenheit und der Eingliederung in die Betriebsorganisation. Unterliegt der formal Selbständige zum Beispiel Weisungen des Auftraggebers hinsichtlich Zeit, Ort, Inhalt oder Organisation der Tätigkeit, so wird vom BAG eine Scheinselbständigkeit angenommen. Auch die Tätigkeit für lediglich einen Auftraggeber oder die Nutzung von Arbeitsmitteln des Auftraggebers stellen Indizien für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis dar.
In den Bereichen Franchise, Direktvertrieb, Network Marketing und Multi Level Marketing ist Scheinselbständigkeit selten der Fall. Hier wird die Tätigkeit auf eine Vielzahl von Auftraggebern gestützt. Die Merkmale der Selbständigkeit wie die freie Gestaltung bezüglich Inhalt, Organisation, Ort und Zeit der Tätigkeit sind hier meist erfüllt.
Wenn man hingegen nur für einen Auftraggeber tätig ist und selbst keine Angestellten hat, die mehr als 450 € im Monat verdienen, kann man dennoch als Selbständiger eingestuft werden, ist aber verpflichtet Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu leisten. Dies trifft regelmäßig auf den Strukturvertriebler zu.
Die Annahme der Scheinselbständigkeit stützt die Deutsche Rentenversicherung auf verschiedene Indizien. Um nicht unter den Verdacht der Scheinselbständigkeit zu geraten, können Sie auf folgende Dinge achten.
Als Selbständiger sollten Sie für mindestens zwei Auftraggeber in jeweils relevantem Auftragsvolumen tätig sein. Arbeiten Sie in Ausnahmefällen nur für einen Auftraggeber, sollte der Vertrag nur von kurzer Dauer sein. Eine lange Vertragsdauer kann das Indiz einer Scheinselbständigkeit bekräftigen.
Die Nutzung eigener Arbeitsräume spricht für die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit. Das Arbeit vor Ort beim Arbeitgeber sollte daher nur in begrenztem Umfang stattfinden wie zum Beispiel zweimal wöchentlich.
Eines der wichtigsten Indizien zur Annahme einer selbständigen Tätigkeit ist, dass Sie nicht in die Betriebsorganisation des Auftraggebers eingegliedert sind. Anhaltspunkte sind unter anderem die Nutzung von eigenen Arbeitsmitteln, keine vom Auftraggeber festgelegten Arbeitszeiten, keine Pflicht zu einem regelmäßigen Reporting, keine Wahrnehmung von Weiterbildungsangeboten des Auftraggebers sowie keine Integration in die betriebliche Urlaubsplanung. Auch die Regeln des Vertriebsvertrages können hier helfen, wenn entsprechende Regelungen dort formuliert sind.
Um zu zeigen, dass Sie das unternehmerische Risiko selbst tragen, bietet sich zum Beispiel der Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung an. Diese sichert Sie für finanzielle Schäden ab, welche Sie beim Auftraggeber verursachen.
Die Einstellung von Mitarbeitern ist laut der Deutschen Rentenversicherung ein starkes Indiz für eine selbständige Tätigkeit. Wird allerdings allein durch Einstellung von Mitarbeitern eine tatsächlich bestehende Scheinselbständigkeit umgangen, ist regelmäßig keine selbständige Tätigkeit anzunehmen.
Zuletzt können Sie ihre Eigenständigkeit durch Marketing für Ihr Angebot zeigen, indem Sie zum Beispiel einen eigenen Social-Media Auftritt, eine eigene Website und/oder eigene Visitenkarten nutzen.
Durch Gründung einer Kapitalgesellschaft können Sie den Verdacht der Scheinselbständigkeit regelmäßig vermeiden. Beliebt sind dabei die Rechtsformen der GmbH oder der UG. Auch die Gründung einer Kapitalgesellschaft bietet allerdings keinen 100 prozentigen Schutz vor Scheinselbständigkeit. Daher sollte man auch bei dem Betrieb eines Geschäfts möglichst darauf achten, für mindestens zwei Auftraggeber jedenfalls langfristig tätig sein oder jedenfalls keine Wettbewerbsverbotsklausel im Vertriebsvertrag enthalten ist.
Gründe für Scheinselbständigkeit sind häufig Unwissenheit oder Vorsatz. Einige Unternehmen steuern ihre Angestellten bewusst in die Scheinselbständigkeit, um zum Beispiel die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuer zu vermeiden oder gesetzliche Regelungen zum Urlaubsanspruch, Kündigungsschutz oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu umgehen.
Bewertet die Deutsche Rentenversicherung im Rahmen ihrer turnusmäßigen Prüfung den sozialversicherungsrechtlichen Status ab-weichend von dem Auftraggeber bzw. Arbeitgeber als abhängig, ist der Arbeitgeber verpflichtet die üblichen Anteile zur Sozialversicherung abzuführen. Dies kann bis zu vier Jahre rückwirkend festgelegt werden.
Sofern der Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber in die Scheinselbständigkeit gedrängt wurde, kann er unter Umständen seinen Arbeitnehmerstatus einklagen. Das Arbeitsgericht prüft dann die Gesamtsituation und kann dem Scheinselbständigen den Arbeitnehmerstatus zusprechen, sodass diesem Kündigungsschutz, Urlaubsansprüche und Lohnfortzahlungsansprüche im Krankheitsfall zustehen sowie die hälftige Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge.
Dies hat unter anderem das Sozialgericht Frankfurt am Main in seinem Urteil vom 08.03.2021 (Az. S 18 BA 93/18) für einen Handelsvertreter der Deutschen Bank entschieden. Die Deutsche Bank wurde verurteilt für vier Jahre die Sozialversicherungsbeiträge nachzuzahlen. Des Weiteren hat der Handelsvertreter Ansprüche aus dem bestandenen Arbeitsverhältnis zum Beispiel auf Lohnfortzahlung wegen vergangener Krankheitsfälle.
Wird dem Erwerbstätigen nachgewiesen, dass er vorsätzlich als Scheinselbständiger tätig war, kann dieser zur Zahlung eines Bußgeldes verpflichtet werden. Das gilt auch für den Auftraggeber, welcher vorsätzlich Scheinselbständige beschäftigt.
In einem sogenannten Statusfeststellungsverfahren kann gem. § 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV der sozialversicherungsrechtliche Status des Betroffenen durch die Deutsche Rentenversicherung überprüft werden. Sowohl der Auftraggeber als auch der Erwerbstätige können die Feststellung schriftlich oder elektronisch bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung beantragen und damit zusätzliche Sicherheit über ihr Auftragsverhältnis erhalten.
Bestimmte Berufsgruppen können eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht beantragen. Voraussetzung ist, dass es sich um eine erstmalige selbständige Tätigkeit handelt (Existenzgründung), die nur gegenüber einem Auftraggeber ausgeführt wird und keine Arbeitnehmer beschäftigt werden. Die Befreiung muss in den ersten drei Monaten der Tätigkeit beantragt werden und ist dann nach Prüfung der deutschen Rentenversicherung für drei Jahre gültig. Mit Vollendung des 58. Lebensjahres kann eine unbefristete Befreiung erwirkt werden.
Sind Sie als Networker, Direktvertriebler oder sonst von Scheinselbständigkeit betroffen oder wünschen Sie eine Überprüfung des sozialversicherungsrechtlichen Status vor Feststellung durch die Clearingstelle der Rentenversicherung? SBS LEGAL prüft Ihre Ansprüche und setzt Ihre Interessen sowohl außergerichtlich als auch im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens durch. Haben Sie weitere Fragen zum Thema Scheinselbständigkeit und wie Sie diese vermeiden oder benötigen rechtliche Unterstützung im Vertriebsrecht? Dann sind Sie bei uns genau richtig. Die Rechtsanwälte der SBS LEGAL beraten Sie kompetent und fachlich versiert in allen Fragen des Vertriebsrechts.
Für weitere Rückfragen stehen wir Ihnen jederzeit gerne auch telefonisch zur Verfügung.