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Selektive Vertriebssysteme im Fokus


Selektive Vertriebssysteme: Was hat es damit auf sich?

Der digitale Handel hat den Warenvertrieb in vielen Berührungspunkten komplett revolutioniert und eröffnet Unternehmen neue, weitreichende Absatzmöglichkeiten. Doch mit der Expansion in den Online-Bereich steigen auch die Herausforderungen: Preisdumping, unautorisierter Vertrieb und Produktfälschungen gefährden Markenintegrität und Preisstabilität. Um diesem entgegenzuwirken, setzen Hersteller und Importeure zunehmend auf selektive Vertriebssysteme.

Was sind selektive Vertriebssysteme?

Die Vertriebsform erlaubt eine gezielte Auswahl autorisierter Händler und schafft ein geschlossenes System, das die Kontrolle über Verkaufswege und Preisstrategien sichert. Durch vertraglich festgelegte Kriterien wird bestimmt, welche Händler zum Verkauf berechtigt sind und unter welchen Bedingungen die Ware vertrieben werden darf (qualitative selektive Vertriebssysteme). Als eine mögliche Vertriebsstrategie dient sie Schutz der Markenqualität und verhindert unkontrollierte Preisverfälle.

Damit geht jedoch eine komplexe rechtliche Einordnung einher. Selektive Vertriebssysteme zählen zu den vertikalen Vereinbarungen und unterliegen strengen kartellrechtlichen Vorgaben. Verstöße können empfindliche Sanktionen nach sich ziehen.

Qualitativ selektive Vertriebssysteme: Spezielle Anforderungen an Händler

Im Unterschied zu allgemeinen selektiven Vertriebssystemen stehen bei der qualitativen Variante nicht nur die Vertriebswege im Fokus, sondern insbesondere die Anforderungen an die Händler selbst. Hersteller binden den Verkauf ihrer Produkte an spezifische Qualitätskriterien, etwa geschultes Personal, hochwertige Ladenausstattung oder eine exklusive Warenpräsentation. Zudem kann der Vertrieb über Drittplattformen wie Amazon oder eBay untersagt werden.

Während klassische selektive Vertriebssysteme den Markt stärker kontrollieren, ohne zwingend qualitative Vorgaben zu machen, gewährleisten qualitativ selektive Systeme ein konsistentes Markenimage durch klare Standards für Händler und Verkaufsstellen.


Strukturelle Einordnung der Lieferkette

Die Lieferkette eines Produkts setzt sich aus mehreren Wirtschaftsstufen zusammen – vom Hersteller oder Importeur über den Großhändler bis hin zum Einzelhändler und schließlich dem Verbraucher. Jede dieser Stufen erfüllt eine eigene Funktion im Vertriebsprozess.

Da zwischen diesen Unternehmen vertragliche Vereinbarungen geschlossen werden, spricht man von vertikalen Vereinbarungen. Diese unterscheiden sich von horizontalen Vereinbarungen, die zwischen Unternehmen auf derselben Wirtschaftsstufe getroffen werden, etwa zwischen zwei Großhändlern.

Die Anzahl der Wirtschaftsstufen kann variieren: Während einige Hersteller direkt an Einzelhändler liefern, sind in anderen Fällen zusätzliche Großhändler zwischengeschaltet, um weitläufige Märkte abzudecken. Der Begriff „Anbieter“ bezeichnet in diesem Zusammenhang den Verkäufer, während „Abnehmer“ den Käufer auf jeder Handelsstufe beschreibt.

Vertikale Vertriebsvereinbarungen: Inhaltliche Schwerpunkte und rechtliche Grenzen

Da vertikale Vereinbarungen den Wettbewerb beeinflussen, greifen die Verbote aus § 1 GWB und Art. 101 AEUV. Neben allgemeinen Wettbewerbsbeschränkungen gilt das Behinderungsverbot, das Marktverzerrungen verhindern soll. Insbesondere unzulässige Preisvorgaben, diskriminierende Vertriebsbeschränkungen oder unangemessene Plattformverbote können dabei gegen das Kartellrecht verstoßen.

Händler dürfen also nicht unzulässig benachteiligt werden. Verstöße können neben dem Wettbewerbs- und Kartellrecht auch das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und auf europäischer Ebene den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) betreffen. Während das GWB bei rein nationalen Vereinbarungen angewandt wird, findet der AEUV Einsatz, wenn Vereinbarungen den europäischen Markt beeinflussen. Da beide Regelwerke auf eine Harmonisierung der Wettbewerbsregeln abzielen, stimmen ihre Vorgaben weitgehend überein.

Die Kriterien für die Auswahl der Händler und Vertriebskanäle sowie die Bedingungen für den Weiterverkauf werden vertraglich festgelegt. Dabei lassen sich drei Formen unterscheiden: qualitative Selektivvertriebssysteme, bei denen Händler anhand objektiver Kriterien wie Fachkompetenz oder Geschäftsausstattung ausgewählt werden, qualifiziert qualitative Systeme, die zusätzliche Verpflichtungen enthalten, und quantitative Systeme, die die Anzahl der Vertriebspartner direkt begrenzen.

Besonders problematisch sind bei Klauseln im vertikalen Vertriebsvereinbarungen, die den Wettbewerb einschränken. Ein typisches Beispiel ist die Preisbindung der zweiten Hand, bei der Hersteller versuchen, niedrigere Online-Preise im Vergleich zum stationären Handel zu verhindern. Solche Vorgaben sind kartellrechtlich unzulässig. Auch Doppelpreissysteme, bei denen Waren für den stationären Handel anders bepreist werden als für den Online-Vertrieb, unterliegen rechtlichen Beschränkungen. Plattformverbote, die den Verkauf über Marktplätze wie eBay oder Amazon untersagen, sind nur in bestimmten Grenzen zulässig und müssen sorgfältig formuliert werden.

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) § 1 Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen

Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, sind verboten.

Die europäische Norm des Art. 101 I AEUV (früher Art. 81 EGV)

(1) Mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken, insbesondere

  1. a) die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen;
  2. b) die Einschränkung oder Kontrolle der Erzeugung, des Absatzes, der technischen Entwicklung oder der Investitionen;
  3. c) die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen;
  4. d) die Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen gegenüber Handelspartnern, wodurch diese im Wettbewerb benachteiligt werden;

e) die an den Abschluss von Verträgen geknüpfte Bedingung, dass die Vertragspartner zusätzliche Leistungen annehmen, die weder sachlich noch nach Handelsbrauch in Beziehung zum Vertragsgegenstand stehen.


Vertriebs- und Preisvorgaben im Fokus: Was zulässig ist – und was nicht

Grundsätzlich sind Händler in ihrer Vertriebsstrategie frei, doch nicht jede vertragliche Vorgabe ist erlaubt. Besonders problematisch ist die Vergabe exklusiver Vertriebsrechte, wenn sie zugleich ein passives Vertriebsverbot einschließt. Auch bei Marktanteilen über 30 % sind solche Vereinbarungen kritisch und erfordern eine genaue Einzelfallprüfung. Ein generelles Verbot des Online- oder stationären Handels verstößt ebenso gegen kartellrechtliche Grundsätze wie Einschränkungen bei der Nutzung von Marken in Suchmaschinenwerbung. Unzulässig sind zudem Maßnahmen, die den stationären Handel benachteiligen – etwa Preisrabattverbote oder das Unterbinden von Cross Selling zwischen autorisierten Groß- und Einzelhändlern.

Zulässig bleiben dagegen Regelungen zur Warenpräsentation, zur Gestaltung des Geschäfts oder Onlineshops sowie Exklusivrechte, sofern diese ausschließlich den aktiven Vertrieb betreffen und der Marktanteil unter 30 % liegt. Auch die Beschränkung des Onlinevertriebs auf bestimmte Plattformen kann unter bestimmten Bedingungen rechtskonform sein.

Preisvorgaben und ihre kartellrechtlichen Grenzen

Preisgestaltungen sind ein sensibler Bereich des Wettbewerbsrechts, da sie den Markt verzerren und Verbraucher benachteiligen können. Jegliche Vorgabe, die Preise festschreibt oder den Wettbewerb zwischen Händlern einschränkt, ist unzulässig. Dazu zählen Festpreis- und Mindestpreisvorgaben sowie versteckte Mindestpreise, die durch andere Mechanismen durchgesetzt werden. Auch sogenannte Meistbegünstigungsklauseln, die einzelnen Händlern bessere Konditionen zusichern, können problematisch sein – insbesondere bei hohen Marktanteilen.

Unverbindliche Preisempfehlungen (UVP) sind hingegen erlaubt, solange sie tatsächlich unverbindlich bleiben und nicht durch Sanktionen durchgesetzt werden. Höchstpreise sind ebenso zulässig, sofern sie nicht de facto als Mindestpreisvorgabe wirken. Meistbegünstigungsklauseln zulasten des Herstellers sind kartellrechtlich vertretbar, solange sowohl Hersteller als auch Händler jeweils unter einem Marktanteil von 30 % bleiben. Andernfalls ist eine Einzelfallbewertung erforderlich.

Was ist erlaubt und wo sind Grenzen überschritten?

Im Kartellrecht wird zwischen zulässigen und unzulässigen Vertriebssystemen unterschieden. Maßgeblich für die Beurteilung ist die Verordnung (EU) Nr. 330/2010, die klare Kriterien vorgibt. Ein qualitatives Selektivvertriebssystem kann kartellrechtlich unbedenklich sein, wenn es dazu dient, die Qualität der vertriebenen Produkte zu wahren und deren ordnungsgemäßen Gebrauch sicherzustellen. Dabei müssen Händler anhand objektiver qualitativer Kriterien ausgewählt werden, die nicht über das erforderliche Maß hinausgehen. Zudem darf keine Diskriminierung zwischen potenziellen Vertriebspartnern erfolgen.

Allerdings sind selektive Vertriebssysteme nicht grenzenlos zulässig. Sobald Einschränkungen den Wettbewerb unverhältnismäßig behindern oder bestimmte Händlergruppen benachteiligen, kann ein kartellrechtlicher Verstoß vorliegen. Da die rechtliche Bewertung stets eine Einzelfallprüfung erfordert und Verstöße erhebliche Konsequenzen nach sich ziehen können, ist eine fundierte Rechtsberatung unerlässlich.

Selektive Vertriebssysteme sind ein bewährtes Mittel, um die Qualität von Produkten zu sichern und eine exklusive Markenpräsenz zu wahren. Doch kartellrechtliche Hürden sind dabei nicht zu unterschätzen.


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