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Seit dem 17.02.2024 findet der von der Europäischen Union beschlossene Digital Services Act (DSA) - im Deutschen auch Gesetz über digitale Dienste - Anwendung. Durch das neue Gesetz kommen zahlreiche umfassende und weitreichende rechtliche Neuerungen, insbesondere Transparenz- und Handlungspflichten, auf die Anbieter der betroffenen Online-Unternehmen zu. Für welche Unternehmen der DSA allerdings genau Wirkungen entfaltet und ob auch Online-Shops von dem neuen Gesetz betroffen sind, ist bisher ungeklärt.
Zwar enthält der DSA auch Regelungen zu seinem Anwendungsbereich, diese sind allerdings so allgemein gehalten, dass einige Konstellationen weiterhin nicht eindeutig geregelt sind. Nach Artikel 2 Absatz 1 DSA betrifft der Digital Services Act Vermittlungsdienste für Nutzer mit dem Niederlassungsort oder Sitz in der EU. Umgekehrt sind gemäß Artikel 2 Absatz 2 DSA solche Dienstleistungen, die keine Vermittlungsdienste sind, nicht vom Anwendungsbereich erfasst.
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Zu Vermittlungsdiensten im Sinne des Digital Services Acts zählen nach Artikel 3 Buchstabe b DSA ganz bestimmte "Dienstleistungen der Informationsgesellschaft", namentlich "reine Durchleitungen", "Caching-Leistungen" und "Hosting-Dienste".
Artikel 3 Buchstabe b DSA definiert Dienste der Informationsgesellschaft - mit Verweis auf Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe b der EU-Richtlinie 2015/1535 - als "jede in der Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung".
Nach dem deutschen Rechtsverständnis zählt der (Online-)Verkauf unstrittig nicht zu Dienstleistungen, der Dienstleistungsbegriff ist im EU-Recht allerdings weiter gefasst. Anknüpfungspunkt ist dabei weniger der Verkauf von Produkten, sondern vielmehr der elektronische Betrieb des Online-Shops inklusive Bereitstellung des Online-Angebots, dem Online-Bestellsystem und gegebenenfalls Nebenfunktionen wie eine Kommentar- und Bewertungsfunktion. Online-Shops zählen dadurch im Sinne des EU-Rechts zu Dienstleistungen der Informationsgesellschaft, aber sind allein deshalb noch nicht vom Anwendungsbereich des DSA erfasst.
Die Erwägungsgründe des DSA verdeutlichen, dass klassische Online-Shops keine "reinen Durchleitungen" oder "Caching-Leistungen" darstellen. Erwägungsgrund 29 des Digital Services Acts nennt Beispiele für die beiden Kategorien. Zu "reinen Durchleitungen" zählen demnach unter anderem Dienste wie Internet-Austauschknoten, drahtlose Zugangspunkte und DNS-Dienste. Beispiele für "Caching-Leistungen" sind hingegen das alleinige Betreiben von Netzwerken zur Bereitstellung von Inhalten, Reverse-Proxys oder Proxys zur Anpassung von Inhalten. Solche Dienste sind von entscheidender Bedeutung für die Sicherstellung einer reibungslosen und effizienten Übertragung der über das Internet bereitgestellten Informationen. Anhand der in dem DSA aufgeführten Beispiele lässt sich schnell erkennen, dass klassische Online-Shops nicht unter "reine Durchleitungen" oder "Caching-Leistungen" fallen.
Bei der Frage, ob Online-Shops als "Hosting-Dienste" qualifiziert werden können, gestaltet sich die rechtliche Einschätzung weniger eindeutig als bei den vorherigen Kategorien. Artikel 3 Buchstabe g Nummer iii DSA liegt ein Hosting-Dienst vor, wenn die Leistung darin besteht, die vom Nutzer bereitgestellten Informationen in dessen Auftrag zu speichern. Um diese vergleichsweise weit gehaltene Definition auszufüllen, enthält Erwägungsgrund 29 der DSA erneut konkretisierende Beispiele. Hosting-Dienste seien demnach unter anderem Cloud-Computing-Dienste, Web-Hostingdienste, entgeltliche Referenzierungsdienste oder Dienste, die den Online-Austausch von Informationen und Inhalten ermöglichen.
Auf den ersten Blick bieten Online-Shops keine Haupt- oder Nebenleistungen an, die zu den vorgenannten Beispielen passen. Allerdings könnten "Dienste, die den Online-Austausch von Informationen und Inhalten ermöglichen" auch Kommentar- und Bewertungsfunktionen von Online-Shops umfassen. Zwar betreibt ein klassischer Online-Shop mit Kommentar- und Bewertungsfunktion im Wesentlichen keinen Kommentar- und Bewertungsdienst, solche Nebenfunktionen könnten allerdings trotzdem aus Sicht des DSA separat zu betrachten und beewerten sein. Dann würden aber auch ausschließlich die Nebenfunktionen dem Digital Services Act unterfallen.
Die Anwendung des DSA führt allerdings zu weitreichenden Folgen für Betroffene, sodass hinterfragt werden sollte, ob diese Folgen für Anbieter von Online-Shops angemessen sind.
Gegen die DSA-Anwendung auf Online-Shops spricht zunächst die Definition von Hosting-Diensten. Ein Online-Shop wäre nur dann ein Hosting-Dienst im Sinne des Digital Services Acts, wenn die Leistungen des Shops zumindest teilweise darin bestünden, die vom Nutzer bereitgestellten Informationen in dessen Auftrag zu speichern. Online-Shops speichern die von Nutzern bereitgestellten Informationen häufig: Beim bloßen Besuch der Website werden Nutzerdaten wie die IP-Adresse erhoben und gespeichert und bei Bestellungen über den Online-Shop kommen Kundenkontakt- und Bestelldaten hinzu. Können zudem Kommentare oder Bewertungen abgeben werden, werden die Inhaltsdaten davon gespeichert. Die Speicherung muss für die DSA-Anwendung allerdings aufgrund eines konkreten Auftrags des Nutzers dafür (eines Vertrages/vertragsähnlichen Verhältnisses) erfolgen. Der Nutzer muss folglich von dem Anbieter des Online-Shops gerade auch die Speicherung der Daten auf eine bestimmte Art und Weise verlangen können.
Die Nutzer-, Bestell- und Kundenkontaktdaten werden in der Regel nicht im Auftrag des Nutzers gespeichert. Die Erhebung der Daten erfolgt zwar um Zusammenhang mit einem Vertrag oder einer Vertragsanbahnung, aber die Anbieter speichern die Daren nicht im Auftrag des Nutzers, sondern um den im Vordergrund stehenden Vertrag zu erfüllen. Die Speicherung ist somit keub wesentlicher Gegenstand des Auftrags oder Vertrags mit dem Nutzer, sondern nur ein notwendiges Beiwerk. Wird kein Vertrag explizit über die Abgabe und Veröffentlichung von Kommentaren oder Bewertungen auf der Website des Online-Shops abgeschlossen, kann auch nicht von einem Auftrag des Nutzers zur Speicherung der Daten ausgegangen werden.
Die Regelungen und Erwägungsgründe des DSA sprechen dafür, dass vergleichsweise bloß unbedeutende Nebenfunktionen nicht zu den umfangreichen Pflichten, die die Anwendung des DSA nach sich zieht, führen soll. Die verallgemeinerte Ableitung aus den Erwägungsgründen ergibt, dass Nebenfunktionen, die für sich genommen von den Regelungen des Digital Services Acts adressiert werden, den jeweiligen Dienst nicht insgesamt den sämtlichen Pflichten, die gegebenenfalls gelten würden, wenn der Dienst nur aus der jeweiligen Nebenfunktion bestünde, unterwerfen sollen.
Das Hauptargument gegen die Anwendung des DSA auf Online-Shops besteht allerdings darin, dass wesentliche Pflichten, die sich aus dem Gesetz für Vermittlungsdienste ergeben, nicht auf Online-Shops mit Kommentar- oder Bewertungsfunktion passen. So fordert beispielsweise Artikel 14 Absatz 1 DSA, dass die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der betroffenen Dienste Angaben über etwaige Beschränkungen bezüglich der von Nutzern bereitgestellten Informationen, die sie im Zusammenhang mit der Nutzung des Dienstes auferlegen, enthalten. Dazu zählen Angaben zu allen Leitlinien, Verfahren, Maßnahmen, Werkzeugen, die zur Moderation von Inhalten eingesetzt werden und Verfahrensregeln für das interne Beschwerdemanagement. AGB im Sinne des Artikel 3 Buchstabe u DSA sind "alle Klauseln, ungeachtet ihrer Bezeichnung oder Form, die die vertraglichen Beziehungen zwischen dem Anbieter von Vermittlungsdiensten und den Nutzern regeln".
Solche Bestimmungen in AGB sind allerdings nur sinnvoll, wenn die AGB auch tatsächlich zur Geltung kommen und Anwendung finden. Dafür müssen derartige AGB allerdings zunächst zwischen Anbieter und Nutzer verbindlich vereinbart werden, was nicht der praktischen Realität, dass in der Regel kein Vertrag zwischen dem Online-Shop-Betreiber und jedem einzelnen Nutzer geschlossen wird, entspricht. Die Pflichten des DSA würden daher ins Leere laufen, denn die alleinige Aufnahme derartiger Bestimmungen führt noch nicht zur Anwendbarkeit auf die konkreten kommentierenden oder bewertenden Personen.
Um diesem Problem zu entgehen, könnte alternativ angenommen werden, dass Anbieter von Online-Shops indirekt zu verpflichtet werden sollen, von jedem Kommentierenden oder Bewertenden die ausdrückliche Zustimmung zu den entsprechenden AGB einzuholen, sodass die Bestimmungen dadurch relevant werden können. Allerdings lässt sich eine entsprechende indirekte Pflicht, Kommentar- oder Bewertungsfunktionen nur noch auf vertraglicher Basis mit derartigen AGB anzubieten, nicht aus dem DSA entnehmen.
Artikel 15 DSA führt zu umfangreichen Transparenzpflichten, die bei der Anwendung auf Online-Shops insbesondere bei kleineren Unternehmen nicht nur praxisfern wären, sondern die auch gemessen am Sinn und Zweck des Digital Services Act auch nicht gewollt werden. So müssten Anbieter mindestens einmal pro Jahr klare, leicht verständliche Berichte über die durchgeführte Moderation von Inhalten, deren Inhalte und Formvorlagen im DSA näher geregelt sind, veröffentlichen. Für derartige Berichte fehlen den Anbietern vieler kleiner und mittelgroßer Online-Shops die finanziellen, personellen und sonstigen erforderlichen Ressourcen. Insbesondere hinsichtlich der geringen Bedeutung der Kommentar- und Bewertungsfunktion erscheint diese Anforderung daher unverhältnismäßig aufwendig. Zwar würden die besonders umfangreichen Berichtspflichten nach Artikel 15 Absatz 2 DSA auf Kleinst- und Kleinunternehmen keine Anwendung finden, aber auch bei größeren Online-Shops würden die Transparenzpflichten ihren verfolgten Zweck verfehlen. Soweit die Kommentar- und Bewertungsfunktion im üblichen Rahmen ausgestaltet wäre, wäre kaum Berichtenswerstes in dem Dokument enthalten, was den mit der jährlichen Erstellung verbundenen Aufwand rechtfertifen könnte.
Zwar sprechen überzeugende Argumente dafür, den Digital Services Act nicht auf klassische Online-Shops anzuwenden, aber letztendlich muss die Rechtsprechung der Gerichte und letztinstanzlich der EuGH Licht in das dunkle Feld der DSA-Anwendung bringen.
Der Digital Services Act wird die betroffenen Acteure noch weiterhin vor rechtliche Fragen und Herausforderungen stellen, sodass ein guter Rechtsbeistand das A und O für die betroffenen Unternehmen ist. Unsere Anwälte von SBS LEGAL beraten Sie mit ihrer jahrelangen Expertise im Internetrecht bestmöglich zu sämtlichen rechtlichen Anliegen.
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