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In der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) wurde in Artikel 17 das „Recht auf Vergessenwerden“ verankert. Hiernach hat eine Person das Recht, von dem Verantwortlichen zu verlangen, dass sie betreffende personenbezogene Daten gelöscht werden, wenn diese Daten z.B. für Zwecke, für die sie erhoben oder auf sonstige Weise verarbeitet wurden, nicht mehr notwendig sind (Art. 17 Abs. 1 Buchstabe a DSGVO). Allerdings kann dieses Recht entfallen, wenn die Verarbeitung der Daten erforderlich ist u.a. zur Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Information oder aus Gründen des öffentlichen Interesses (Art. 17 Abs. 3 Buchstabe a und d DSGVO). Für jeden Fall, in dem sich eine Person auf dieses Recht beruft, muss abgewogen werden, ob das persönliche Interesse das öffentliche Interesse überwiegt oder andersherum. Besonders herausfordernd gestaltet sich diese Abwägung, wenn über (schwere) Straftaten mit namentlicher Nennung des Täters berichtet wurde und dieser nun eine Löschung der Verlinkung mit seinem Namen auf Suchmaschinen verlangt.
Mitte Juni 2020 hat sich das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe zu einem Fall geäußert, in dem ein ehemaliger Straftäter nach Vollendung seiner Strafe eine Internet-Suchmaschine verklagte, da diese die Löschung eines mit seinem Namen verlinkten Artikels ablehnte.
Bei Eingabe des Vor- und Nachnamens des Klägers erscheint auf der Seite der Beklagten ein Link zu einem Artikel, der im Online-Archiv auf der Website eines Magazins nach wie vor öffentlich ist. Hintergrund des Artikels sind Straftaten aus dem Jahr 1988. Der Kläger war 1988 zunächst wegen Raubmordes angeklagt, er wurde im selben Jahr jedoch freigesprochen, weil seine Täterschaft nicht nachgewiesen werden konnte. Nicht allzu lang nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft überfiel und ermordete der Kläger 1988 in Mittäterschaft drei Menschen, weswegen der Kläger zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Ende 2014 wurde der Kläger aus der Haft entlassen und die zur Bewährung ausgesetzte Reststrafe wurde inzwischen erlassen.
Der streitgegenständliche Artikel handelt von der grundsätzlichen Problematik, dass Täter, denen ein Verbrechen nicht nachgewiesen werden kann, freigesprochen werden und dann eventuell direkt das nächste Verbrechen begehen. Im Wesentlichen befasst sich der Artikel mit der Verzweiflung der Angehörigen der Opfer sowie auch der Richter in einem solchen Fall. Auch werden die Hintergründe der Tatvorwürfe gegen den Kläger in Bezug auf den Raubmord thematisiert. Des Weiteren sind Ausführungen zu der durch den Kläger begangenen Tat und zu seiner Biographie enthalten.
Bei Eingabe des Namens des Klägers in die Suchmaschine erscheinen neben dem Link auf den beanstandeten Artikel allerdings verschiedene Ergebnisse zu anderen Personen, wie z.B. einem Rosenzüchter, einem Ruderer und einem Professor.
Der Kläger beantragte im Juli 2016 über das Webformular der Beklagten die Löschung des Links aus den Suchergebnissen; es ginge ihm nicht darum, den Artikel allgemein zu löschen, d.h. über das Online-Archiv des Magazins wäre er nach wie vor auffindbar. Die Beklagte lehnte den Antrag jedoch ab.
Die Frage, die sich den Gerichten stellt, ist, ob das persönliche Interesse des Klägers das allgemeine öffentliche Interesse überwiegt und dementsprechend der Link aus den Suchergebnissen gelöscht werden muss oder nicht. Besonders in Bezug auf schwere Straftaten besteht jedoch ein öffentliches Interesse. Der beanstandete Artikel stelle keine unwahren Tatsachenbehauptungen auf, sondern berichte lediglich über das Ereignis und behandele eine allgemeine Problematik, für die ein fortbestehendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit bestehe, so die Beklagte. Zudem sei der Kläger auch nicht eindeutig identifizierbar, da unter seinem Namen auch andere Personen gefunden werden können.
Andererseits liegt die Tat inzwischen bereits über 30 Jahre zurück und nimmt somit auch immer mehr an Wichtigkeit für die Öffentlichkeit ab. Zudem ist es heutzutage nicht ungewöhnlich, dass man von Menschen, die man gerade kennengelernt hat, gegoogelt wird, weswegen der Kläger auf eine Erschwerung seiner Resozialisierung hinweist, wenn beispielsweise neue Bekanntschaften auf diesen Artikel stoßen würden. Der Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht wiege schwer, so der Kläger, da der Artikel nicht nur die wahren Tatumstände beschreibe, sondern auch das grausame, brutale und rücksichtslose Vorgehen des Klägers und die Folgen für die Opfer herausstelle.
Das Landgericht begründete die Abweisung der Klage damit, dass die Beklagte als mittelbare Störerin nur dann in Anspruch genommen werden könne, wenn sie durch einen konkreten Hinweis Kenntnis von einer offensichtlichen und auf den ersten Blick erkennbaren Rechtsverletzung erlangt habe. Auch nach Art. 17 DSGVO bestehe kein Anspruch, da die Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Information (Abs. 3 Buchstabe a) eingreife.
Gegen das Urteil des Landgerichts legte der Kläger Berufung ein. Der Kläger wendet sich nicht gegen die Ausführung des Landgerichts zum nationalen Recht, sondern beruft sich auf das Unionsrecht, wonach der Anspruch auf Löschung des Links europarechtlich nach Art. 17 Abs. 1 Buchstabe d DSGVO begründet sei.
Zudem könne sich ein Suchmaschinenbetreiber nicht auf das Recht auf freie Meinungsäußerung berufen, weswegen Art. 17 Abs. 3 Buschstabe a DSGVO nicht eingreife. Entscheidend sei für den Kläger die Veröffentlichung in der Ergebnisliste der Suchmaschine und nicht die Löschung durch den Anbieter in dessen Online-Archiv, weswegen es sich um das alleinige Informationsinteresse des Suchmaschinenbetreibers handele. Das öffentliche Interesse an der Auffindbarkeit der Information überwiege nur im Ausnahmefall das Interesse am Schutz der Privatsphäre.
Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung die Feststellung des Landgerichts zugrunde zu legen. Auf dieser Grundlage steht dem Kläger weder nach §§ 823 Abs. 1, Abs. 2; 1004 BGB, Art. 1 GG noch nach Art. 17 Abs. 1 DSGVO der geltend gemachte Anspruch zu.
Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung hat das Landgericht ausgeführt, dass ein Anspruch wegen Persönlichkeitsverletzung gegen den Suchmaschinenbetreiber nur bei einer offensichtlichen und auf den ersten Blick klar erkennbaren Rechtsverletzung bestehe und dass es hieran fehle, weil die Interessen des Klägers die schutzwürdigen Belange der Internetseiten- und Suchmaschinenbetreiber sowie der Internetnutzer nicht offensichtlich überwögen.
Die Nutzung des Internets sei insgesamt auf die Existenz und Verfügbarkeit von Suchmaschinen aufgrund der sonst nicht mehr überschaubaren Flut von Daten angewiesen. Wegen dieser essentiellen Bedeutung für die Nutzbarmachung des Internets dürfe der Betrieb von Suchmaschinen nicht gefährdet oder unverhältnismäßig erschwert werden. Der Maßstab der „offensichtlich auf den ersten Blick klar erkennbaren Rechtsverletzung“ führe nur in Ausnahmefällen zu einem eindeutigen Ergebnis für den Suchmaschinenbetreiber und dementsprechend zu einem Anspruch auf Löschung oder Unterlassung.
Zudem gehört die Berichterstattung über Straftaten zu den Aufgaben der Presse und liegt im öffentlichen Interesse, wobei auch die Nennung von Namen hier rechtmäßig ist. Insbesondere wenn sich die Tat durch die Begehungsweise oder die Schwere der Folgen von der gewöhnlichen Kriminalität abhebt, muss der Kläger daher belastende Wirkungen weitergehend hinnehmen als gegenüber Beiträgen über sein privates Verhalten.
Der Artikel beschreibt den Tat- und Prozessverlauf auch zutreffen – wahre Tatsachenberichte sind grundsätzlich hinzunehmen. Der Autor lenke die Aufmerksamkeit des Lesers nicht auf die Person des Klägers, sondern auf das Problem, wie die Gesellschaft, das Justizsystem und die Prozessbeteiligten mit einem solchen Fall umgehen können.
Eine entscheidende Frage sei, inwieweit sich die zeitliche Distanz zur Tat von inzwischen über 30 Jahren auswirkt. Das Landgericht hat erkannt, dass das öffentliche Interesse mit der Zeit abnehme. Ein offensichtlicher Rechtsverstoß und damit eine Löschpflicht des Suchmaschinenbetreibers komme dann in Betracht, wenn eine Erledigung jeglichen Informationsinteresses durch Zeitablauf vorliegt. Nach solch einem Ablauf könne ein „Anspruch auf Vergessenwerden“ bestehen. Allerdings bestehe kein grundsätzlicher Abklang des öffentlichen Informationsinteresses, auch nach langer Zeit. Ein Straftäter habe (auch nach Verbüßung der Straftat) keinen uneingeschränkten Anspruch darauf, in der Öffentlichkeit überhaupt nicht mehr mit seiner Tat konfrontiert zu werden, so das Landgericht.
Die Wiedereingliederung des Straftäters in die Gesellschaft sowie die Verschiebung von einem auf Tat und Täter konzentrierten Interesse hin zu einem Interesse an einer Analyse der Voraussetzungen und Konsequenzen der Tat über die Zeit muss in die Überlegung mit einbezogen werden. Allerdings ergab sich auch hier nach Auffassung des Landgerichts, dass der Maßstab der „offensichtlich und auf den ersten Blick klar erkennbaren Rechtsverletzung“ nur in Ausnahmefällen zu einem eindeutigen Ergebnis für den Suchmaschinenbetreiber und dementsprechend zu einem Anspruch auf Löschung oder Unterlassung führe.
Obwohl sich das Gewicht der Interessen zwar, aufgrund der langen Zeitspanne seit der Tat, so weit zu Gunsten des Klägers verschiebe und damit das öffentliche Interesse an der Bereitstellung der Information nicht mehr offensichtlich überwiege, so könne das Recht des Klägers auf Vergessenwerden wegen der Schwere der Tat und des Charakters des Artikels keinen auf den ersten Blick erkennbaren Vorrang beanspruchen. Somit fehle es auch hier an einer Voraussetzung für einen Anspruch gegen den Suchmaschinenbetreiber nach §§ 823 Abs. 1; 1004 BGB.
Der Presse wird eine wesentliche Rolle innerhalb einer demokratischen Gesellschaft zugeschrieben, wozu auch das Verfassen von Berichten und Kommentaren zu Gerichtsverfahren gehöre. In diesem Zusammenhang hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte anerkannt, dass die Öffentlichkeit nicht nur ein Interesse daran habe, über ein aktuelles Ereignis informiert zu werden, sondern auch, Recherchen zu vergangenen Ereignissen durchführen zu können (EuGH, Urteil vom 24.09.2019, C-136/17 – juris Rn. 76; EGMR, Urteil vom 28.06.2018, M. L. und W.W./Deutschland, Rs. 60798/10 und 65599/10).
Dieses Interesse wird von der DSGVO mit der Privilegierung von Online-Archiven nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. j und Art. 85 Abs. 2 DSGVO anerkannt.
Durch das Auffinden des Artikels durch Eingabe des Namens des Klägers in die Suchmaschine sei eine dauerhafte, latente Gefahr gegeben, welche eine Resozialisierung für den Kläger erheblich erschwere.
Allerdings spielen die unternehmerische Freiheit sowie die Meinungsfreiheit der Inhalteanbieter und die Informationsinteressen der Nutzer in die Interessenabwägung für die Beklagte rein. Bei der Tat handelte es sich um ein Tötungsdelikt von besonderer Schwere mit besonderem Tatablauf. Der beanstandete Artikel sei inhaltlich zutreffend, sachlich und ohne Belastungstendenz gegenüber dem Kläger gehalten und adressiere gerade die gesellschaftlichen Fragen, die der besondere Tathergang aufwerfe und an denen die Öffentlichkeit ein berechtigtes und dauerhaftes Interesse habe.
Das öffentliche Interesse sei trotz des langen Zeitablaufs von über 30 Jahren nicht vollständig entfallen. Das Interesse an der Person des Täters trete zwar zunehmend zurück, allerdings seien die in dem Artikel angesprochenen gesellschaftlichen Fragen nach wie vor relevant. Außerdem komme der Einstellung des Artikels in einem Online-Pressearchiv nach Art. 85 Abs. 2 DSGVO und Erwägungsgrund 153 ein besonderer Schutz zu, der auch auf den Anspruch gegen den Suchmaschinenbetreiber ausstrahle.
Auch unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten bleibe es dabei, dass die Interessen des Klägers jedenfalls nicht offensichtlich und auf den ersten Blick klar erkennbar überwiegen. Die Beeinträchtigung des Klägers und das öffentliche Interesse stehen sich mit vergleichbarem Gewicht gegenüber. Der Kläger könne nicht verlangen, dass der Artikel vollständig und endgültig vom Suchmaschinenbetreiber gelöscht wird.
Das Vorgehen gegen den Inhalteanbieter sei zudem vorrangig gegenüber dem gegen den Suchmaschinenbetreiber, solange sich nicht die Rechtswidrigkeit der Datenverarbeitung aufdränge. Ein Vorgehen gegen den Inhalteanbieter würde die Beeinträchtigung für den Kläger insgesamt und vollständig beseitigen, wogegen der Beitrag auch bei einem Erfolg der vorliegenden Klage mit anderen Suchmaschinen durch personalisierte Suchanfragen auffindbar wäre. Solang der Kläger diese Tatsache toleriert, überwiege sein Interesse unterhalb der Schwelle einer offensichtlichen Rechtsverletzung im Verhältnis zur Beklagten nicht, so das OLG.
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